Unnötiges Strapazieren der Ethik

F. Malik am Samstag, 28.05.2011 um 9:12 Uhr
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Unnötiges Strapazieren der Ethik

Für das Lösen von Management- und Wirtschaftsfragen wird derzeit fast ausschliesslich die Ethik bemüht. So etwa für Manager-Boni, neoliberale Gewinnmaximierung, Shareholder-Value, Spekulantentum, Social Responsibility und dergleichen. Das ist unnötig und meistens wenig überzeugend. Dafür ist die Ethik aber viel zu kostbar.

Solche Fragen löst man weit besser mit Logik, statt mit Ethik.
Für die Manager-Boni steht ein neues Bemessungssystem u. a. seit längerem in meinem Corporate Governance-Buch. Mit der Anwendung meiner 6 Schlüsselgrössen für das gesunde Unternehmen kommt man zu einer sowohl wirtschaftlich als auch ethisch neuen und alle Anliegen völlig zufriedenstellenden Lösung.

Dort stehen auch Lösungen für die anderen obigen Fragen. Wir sollten die Ethik nicht verbrauchen für so banale Probleme, wie Managereinkommen, sondern sie reservieren für die wirklich grossen Menschheitsfragen, wie z. B. die Genetik.

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22 Kommentare

  1. M.W.

    Sehr geehrter Herr Fredmund Malik,

    welche Ihrer derzeitig gesammelten Erfahrungen veranlasste Sie zu diesem Artikel?

    Ich dachte das Thema wäre abgearbeitet? Die Menschen um das Thema Ethik zu informieren, diese unter einer dynamisch, als wohl global gedachten Idee zu begreifen, ist so mühsam wie mit einem Sieb das Wasser eines Flusses in ein anderes Gefäß zu übertragen, wobei ich damit Denk- und Vorstellungswelten anspreche. Sprechen wir also machbares an!

    Nun, das Thema Logik ist ein interessanter Einwurf? Welche Logik benötigen wir, außer kybernetischem Regelwerk?

    Ist es nicht gerade in den „Rechtswissenschaften“ und „Finanzwissenschaften“ so, dass genau dieses komplexe Regelwerk geschaffen wurde, um die Transparenz, die in aller Munde ist zu umschiffen, diese nur einer kleinen Minderheit zugänglich zu machen, wobei zugänglich hierbei als verständlich Gedachtes, sowie praktisch gesunden Partizipierbarkeit aufgefasst werden soll.

    Lieber Herr Malik, daher gefallen mir Ihre Ideen und Neuerungen, sowie Ihre Bücher (eine Überlegung subjektiv formulierter Argumentationscharakteristika rückten die gesellschaftlich anerkennenswerten Ideen in eine noch höhere Rangordnung). Sie Denken und Reflektieren, gut.

    Es gilt dabei jedoch zu beachten, der Mensch ist nicht logisch, wobei ich dazu, Sie werden es ahnen, mich auf die Logik an sich beziehen möchte (Georg W. F. Hegel).

    Ich wünsche den Leserinnen und Lesern ein schönes Wochenende und freute mich über ergänzende Sachverhalte, diese meinigen anfänglich disjunkt gegenüberstehen mögen, eine Mengenbildung dabei anstrebend, denn diese ist stets präsent, auch wenn wir es augenscheinlich nicht so sehen wollen.

    • Fredmund Malik

      Das Thema Ethik ist in der Wirtschaft aktueller denn je. Immer mehr Leuten dämmert es, dass mit vermeintlichen Grundfesten des Wirtschaftens etwas nicht stimmen kann. Dazu gehören z. B. der Shareholder-Value-Ansatz, die Gewinnmaximierung und die Manager-Boni.
      Mit ihren Zweifeln haben die Menschen recht, aber die Lösungen für diese Fragen erfordern keine Ethik, sondern eine andere Lenkungslogik. Wer statt auf den Shareholder-Value zu schauen, sich am Customer Value ausrichtet, hat das Problem bereits gelöst.

  2. E.W.I

    Lieber Herr Malik,

    ich bin auch der Meinung, dass in erster Line eine andere Lenkungslogik not tut, ethische Ansätze bleiben sonst im Gutgemeinten stecken.

    Trotzdem habe ich zwei Bemerkungen dazu:

    1. Ethik als solche ist vermutlich dadurch entstanden, dass Menschen in komplexen Gesellschaften immer wieder einen Hang zu einer kurzschlüssigen, überheblichen „Logik“ entwickeln. In der Natur würde bekanntlich keine Maus eine Mausefalle konstruieren, und nur ein Vulkan beim Ausbruch würde sich eine „winner takes it all“ Logik leisten können. So gesehen ist Ethik eher die derzeit verloren gegangene Grundlage, um funktionierende Vorgehensweisen von letztlich (selbst)zerstörerischen unterscheiden zu können.

    2. Managereinkommen mögen ein banales Problem sein, die Lebenschancen ganzer Generationen sind es nicht. Derzeit entsteht bei vielen „gewöhnlichen“, arbeitenden oder bereits abgehängten Menschen der Eindruck, auch als Konsument nur Spielball, Strandgut, Nutzvieh, Schlachtvieh zu sein.

    Im Manifest der spanischen Protestierenden vom 15. Mai 2011 heisst es:

    „Wir brauchen eine ethische Revolution. Anstatt das Geld über Menschen zu stellen, sollten wir es wieder in unsere Dienste stellen. Wir sind Menschen, keine Produkte. Ich bin kein Produkt dessen, was ich kaufe, weshalb ich es kaufe oder von wem.“

    Das mag naiv sein, zeigt aber, wie weitgehend „Wirtschaft“ als solche in ihrer heutigen Form als menschenfeindlich empfunden wird. Hier könnten sich gesellschaftliche Kräfte so weit auseinanderentwickeln, dass man schlicht keine gemeinsame Sprache mehr wird finden können, nicht einmal zum Zwecke der Auseinandersetzung.

    Mit freundlichen Grüssen

    E.W.I

    • Fredmund Malik

      Für die allerwichtigsten, existenziellen Fragen der Menschheit brauchen wir auch Ethik, das ist richtig. Damit sind aber extrem schwierige Fragen verbunden, unter anderem: Welche Ethik und wessen Ethik und Ethik für wen? Daher plädiere ich dafür, überall dort die Logik zu verwenden, wo dies möglich ist, und nicht schon von allem Anfang an die Ethik zu bemühen und auch zu verbrauchen. Man wird sehen, dass die Logik sehr viel weiter reicht, als die meisten sich vorstellen können. Wenn wir am Ende der Logik sind, brauchen wir eine Ethik, die noch nicht für Banalitäten abgenutzt ist.
      So ist es z. B. die Frage, ob etwas selbstzerstörerisch oder funktionierend ist, abhängig von den Regelkreisen, die es in einem System gibt und der Logik ihrer Vorzeichen (positiv = systemzerstörend, negativ = systemerhaltend)

  3. Johann Tesch

    Lieber Herr Malik,

    ich möchte eine weitere Perspektive in dieses Thema bringen. Sollten ethische Werte nicht als Grundlage für das Handeln der Manager (und den Rest der Menschheit) gesehen werden? Und ich meine hier basics wie Wahrhaftigkeit und Ehrlichkeit, Respekt und Nicht-Verletzen, Demut als Gegenpol zum Ego., für die ganz Mutigen vielleicht sogar noch Nächstenliebe. Wenn diese Werte unser Denken und Handeln bestimmen, dann ist es aus Sicht der Ethik letztlich egal ob ich shareholder-value Ansätze oder customer-value Ansätze verfolge, ich handle ethisch korrekt. Der Unterschied liegt nur mehr im betriebswirtschaftlichen Ansatz.
    Ich fürchte jedoch, dass diese einfachen ethischen Prinzipien nicht mehr gelebt werden, ja geradezu völlig abhanden gekommen sind. Daher wird Ihr Vorschlag mehr mit Logik statt mit Ethik zu agieren nicht die gewünschten Resultate bringen, sofern diese Logik nicht eine gesunde ethische Basis hat. Die wirklich große Frage lautet daher: wie können wieder ethische Werte als Maxime unseres Handelns geschaffen werden? Ein paar Vorlesungen im Betriebswirtschaftsstudium oder ein Seminar für bereits aktive Manager wird nicht reichen, wir brauchen wieder Menschen, die es vorleben. Wenn ernsthaft daran gearbeitet wird, braucht es realistischer Weise eine bis zwei Generationen um eine wirklichen Wendepunkt zu erreichen.

    • Fredmund Malik

      Ethische Werte sollen die Grundlagen unseres Handelns sein, da haben Sie Recht. Nun geht es mir nicht in erster Linie um die Menschen im allgemeinen, denn da bin ich zu wenig kompetent, sondern um das Handeln von Führungskräften, also um die Grundlagen für Richtiges und Gutes Management. In meinen Management Systemen sind das im Kern die Werte Leistung, Vertrauen, Professionalität und Verantwortung. Nur wenn diese Werte stimmen, können andere noch hinzukommen.
      Daraus ergibt sich, dass Shareholder Value falsch ist und Customer Value richtig. Denn wer zufriedene Kunden hat, wird auch den Shareholdern ihren guten Teil geben können, umgekehrt geht es aber nicht.

  4. E.W.I

    Lieber Herr Tesch,

    darf ich auch versuchen zu antworten?

    Mit dem shareholder value und anderen Fehlanreizen funktioniert ethisches Verhalten eben nicht. Man muss einen Unterschied machen zwischen dem guten (ethischen) Willen und Methoden, die tatsächlich funktionieren.

    Wenn Sie zu schnell in die Kurve fahren, auf die Gegenfahrbahn geraten und mit Ihrem SUV die Menschen in einem kleineren Fahrzeug töten, hat das nichts mit Ihren ethischen Grundsätzen zu tun, sondern schlicht mit Gesetzmäßigkeiten (in diesem Fall den Naturgesetzen).

    Nun hat die „neoliberale“ Ideologie der letzten Jahrzehnte ja gerade die Ethik für überflüssig erklärt. Es herrschte der Glaube, daß es allen besser gehen wird, wenn sich jeder (per „Gier“) nur um sich selbst kümmert (man erinnere sich an den Aktienboom).
    Inzwischen wird jedem klar, daß diese „Logik“ nicht funktioniert.

    Da die Abwesenheit von Ethik das hervorstechendste Merkmal des „Neoliberalismus“ ist, liegt die Versuchung nahe, „einfach“ die Ethik wieder einzuführen und damit das Problem lösen zu wollen. Leider läßt sich eine wildgewordene Maschinerie nicht einfach per Ethik stoppen. Man muß schon ein geeignetes Instrumentarium finden.

    Trotzdem scheint mir eine Debatte über Ethik unumgänglich zu sein, eben aus den von Ihnen angesprochenen Gesichtspunkten. Ethik ist nun mal das deutlichste Unterscheidungsmerkmal zur derzeitigen Sicht der Dinge.

    Dieses Thema erscheint mir also wichtig, damit wir nicht die Fähigkeit zur Verständigung verlieren.
    Noch wichtiger – und da gebe ich Herrn Malik recht – sind aber konkrete Maßnahmen in der gegenwärtigen Situation. Eine abgehobene Debatte über Ethik bringt nichts und „verbraucht“ das Thema Ethik überflüssigerweise.

    Wobei „Leistung, Vertrauen, Professionalität, Verantwortung“ schon eminent ethische Werte sind. Derzeit findet man als Kunde recht oft Vorspiegelung von Leistung, Auf der Hut sein Müssen vor Mogelpackungen, Pfusch und Verantwortungslosigkeit.

    • Fredmund Malik

      Die neoliberale Logik führte zur grössten geschichtlichen Fehlllokation von Resourcen, weil sie die falschen Zwecke und Ziele des Wirtschaftens vorgibt und daher die Wirtschaftsführer systematisch zu Fehlentscheidungen veranlasst. Sie ist investitions- und innovationsfeindlich. (Alle Beweisführungen auch zum Folgenden in meinen Büchern).
      Die richtige Logik des Wirtschaftens ist:
      1. Der Zweck des Unternehmens ist es, einen zufriedenen Kunden zu schaffen, also Customer Value zu kreieren.
      2. Im Mittelpunkt dürfen weder Share- noch Stakeholder stehen. Der Kunde ist kein Stakeholder, weil er keine Interessen am Unternehmen hat, was die Definition von Stakeholder ist.
      3. Im Mittelpunkt muss statt dessen das marktwirtschaftlich verfasste Unternehmen selbst als gesundes Unternehmen stehen, denn das Unternehmen ist die produktive Zelle der Gesellschaft und auch die Zelle der gesellschaftlichen Innovation. Wenn diese geschwächt oder zerstört wird, kann eine Gesellschaft nicht mehr funktionieren.
      4. Die Massstäbe für die Gesundheit eines Unternehmens sind 6 Schlüsselgrössen, die ich die Central Performance Controls nenne.
      5. Soziale Wohltaten dürfen nicht zur Aufgabe von Unternehmen gemacht werden. Jeder bisherige Versuch dazu ist gescheitert, mit zum Teil schlimmen Folgen. Das Unternehmen erfüllt seinen Beitrag durch den Nutzen, den es dem Kunden schafft und trägt auf diese Weise zur gesunden Gesellschaft bei.
      6. Soziale Wohltaten sind Sache des Staates und/oder private Sache der Eigentümer und der Bürger, die ihre Einkommen so verwenden dürfen, wie sie es für richtig halten.

      Diese 6 Sätze umfassen die Logik des Funktionierens einer gesunden Wirtschaft in einer gesunden Gesellschaft. Man sieht an diesen sechs Sätzen auch, wo der Neoliberalismus aus dem Ruder gelaufen ist.
      Erst wenn diese Logik korrigiert ist – wie man sieht, eine Wende um 180 Grad – dann soll man über eine darüber hinausgehende Ethik diskutieren, die dann auch fruchtbaren Boden fallen wird.

  5. E.W.I

    Es ist natürlich vollkommen richtig, daß soziale Wohltaten nicht die Aufgabe von Unternehmen sind. Das wäre ein vergebliches Herumdoktern an Symptomen, während die Grundrichtung nicht stimmt.

    Zumal die meisten betroffenen Menschen gar keine sozialen Wohltaten wollen und brauchen, sondern eine Teilhabemöglichkeit als wirtschaftliche Subjekte.

    Der fundamental ethische Impetus der Kritik von unten kommt wohl aus dem Eindruck, daß die derzeitigen „Zwecke und Ziele des Wirtschaftens“ in der Vernichtung der Existenz vieler Menschen bestehen.

    Von oben, von Managerseite aus, läßt sich das aber eben nicht durch Kosmetik ändern, auch wenn das ethische Grundproblem inzwischen gesehen wird. Ich glaube, ich ahne allmählich, warum Sie davor warnen, sich in die ethische Debatte zu verirren, anstatt die eigentlichen Probleme anzugehen.

    • Fredmund Malik

      Frau Igel, vor der Ethik warne ich nicht, denn wir brauchen diese ja dringend. Sondern ich zeige auf, aus welchen ganz anderen Richtungen weit schneller und wirksamer Lösungen kommen können, als durch Diskussionen über Ethik, in der ohnehin nur wenige Personen sich wirklich auskennen. Denn wer hat schon Kant und alle die anderen wirklich gelesen. Andererseits kenne ich niemanden, der sich zwar wohl in Ethik auskennt, aber gleichzeitig auch noch in Unternehmensführung, in den komplexen Problemen der Finanzmärkte, und auch z. B. in den Bonifizierungsfragen für Topmanager.
      Beides ist ja nötig, um Lösungen zu finden.
      Die Unternehmensführung ist mein Lehr-, Forschungs- und Praxisgebiet. Daher tue ich mir hier leicht und konnte früh die Fehler aufdecken, die da durch den US-Approach programmiert wurden. Und ich hatte das Glück, an der Uni früh hervorragende Lehrer in Philosophie zu haben, die eine meine intellektuellen Leidenschaften wurde. Ich bin einer Reihe von vorzüglichen Denkern auch persönlich begegnet, darunter Gotthard Günther, Karl Popper, Friedrich von Hayek, Hans Albert, Heinz von Foerster, Gerhard Vollmer, Kanitscheider, Rupert Riedl, u. v. a. m. Einige waren gute Freunde. So konnte ich diese vordergründig ganz verschiedenen Gebiete integrieren. Ich kenne wenige, die dieses Glück hatten.

  6. Gero Schieder

    Hallo Herr Malik,

    zu Recht merken Sie an, dass Ethik-Räte und -Kommissionen nicht der richtige Weg sind, um logisch und sachlich zu behandelnde Themen erfolgreich zu bearbeiten. Die in letzter Zeit häufiger von der Politik eingesetzten Ethik-Runden haben nach meiner Wahrnehmung auch weniger einen „Werte-Findungs-Auftrag“ erhalten, als dass sie vielmehr Kompromiss- und Konsensempfehlungen für ihre Auftraggeber ausarbeiten sollten.
    In der Unternehmensführung gibt es genügend Aspekte, die ganz klar richtig (dauerhaft wertschaffend), oder eben auch falsch (wertvernichtend, z.B. Shareholder Value) sind. Der Versuch, diese Logik (oder meinetwegen auch Gesetzmäßigkeiten) der Betriebswirtschaft durch ethikgetriebene Kompromisse oder Konsense zu ersetzen, ist sicherlich ein wenig erfolgreicher Ansatz.

    Gruß, Gero Schieder

  7. Florian Linse

    Ich habe nicht den Eindruck, dass die Ethik bei Fragen der Wirtschaftsführung gross diskutiert werden muss. Die ethischen und moralischen Grundsätze sind in diesem Bereich weitestgehend klar ausgeprägt und formuliert. Zum Beispiel würden die meisten Menschen sagen, dass es nicht in Ordnung ist, wenn jemand unverdient viel verdient (Manager-Boni), ein Unternehmen zwar Gewinn macht, aber die Mitarbeiter unwürdig behandelt oder schlecht bezahlt (Gewinnmaximierung) werden. Darüber braucht man keine ethische Grundsatzdiskussion mehr führen, die meisten Menschen, selbst die, die diese Grundsätze verletzen (ohne sich dies einzugestehen), stimmen diesen zu.
    Eine ethische Grundsatzdiskussion wäre z.B., wenn man die Frage in den Raum stellte, ob Privateigentum legitim ist. Auch diese Frage, wie viele andere mehr kann natürlich diskutiert werden, ich lasse dies jedoch bewusst aussen vor, da dies eine Diskussion an anderer Stelle wäre.
    In den meisten Fällen haben wir momentan doch eher das Problem, ob sich jemand den ethischen Normen entsprechend verhält oder diese bricht und ob dieser Bruch überhaupt überwacht, erkannt und geahndet wird. Vielfach ist das Durchbrechen der ethischen Grundsätze ohne entdeckt zu werden inzwischen ein leichte Übung – zumindest in bestimmten Gesellschaftskreisen/Machtzirkeln. Unter Wortungetümen, Neologismen, Euphemismen (man denke an den „tollen“ Begriff „Systemrelevant“. Dem, der diesen Begriff in diesem Zusammenhang erfunden hat, stehen so einige Institutionen und Personenkreise in tiefer Schuld) werden dem Laien die eigentlichen Vorgänge verschleiert. Wenn dann Presse und Politik bei dieser Verschleierung noch mitmachen, ob nun bewusst oder unbewusst, weil die zum grossen Teil auch nicht wirklich durchblicken, gibt es ein gigantisches Kuddelmuddel in dem das unethische leicht mal umetikettiert werden kann und am Schluss „ethisch“ draufsteht, ohne dass es ein genügend grosser und vor allem einflussreicher Personenkreis bemerkt hat.
    Nimmt man das Beispiel Manager-Entlohnung, so neigt man schnell zu jener automatischen Aussage, dass die Besten am besten bezahlt werden müssen. Mit dieser Behauptung kommt man so gut wie immer durch. Manchmal wird noch etwas kritisiert, dass es doch nicht ginge, das jemand so viel bezahlt bekam, wenn er doch den Konzern an die Wand gefahren hat. Aber dann ist meistens Schluss, Wenn es dann darum geht neue Manager anzustellen, müssen diese natürlich wieder bestens bezahlt werden. Ist ja auch klar, sonst bekommt man nicht den besten. Ein Manager trägt unglaublich viel Verantwortung. Auch mit dieser Behauptung kommt man normalerweise mühelos durch, obwohl jeder Privatunternehmer oder Geschäftsführer einer GmbH wissen müsste, dass sie im Fall eines wirtschaftlichen Scheiterns unvergleichlich härter zur Rechenschaft gezogen würden als ein Konzern-Manger. Sieht man genauer hin, merkt man, dass die innere Logik der Behauptung „der höchst bezahlte Manager, muss der beste Manager sein“ von Grund auf falsch ist. Um ein gut bezahlter Manager zu sein, genügt es auch, wenn dieser in erster Linie weiss, wie er es anstellt, viel zu verdienen. Und dieses Wissen muss von der Logik her nicht unbedingt zum Wohle des Unternehmens sein, das den Manager anstellt. Für diese Art Manager reicht es, wenn er sich gut darstellt und einen guten Preis aushandelt. Will er in der Folge bei weiteren Unternehmen hochbezahlt unter Vertrag, sind z.B. Dinge wichtig, wie einen guten Schein waren und den richtigen Zeitpunkt zum Absprung wählen. Bei dieser detaillierteren Betrachtungsweise (und ich bin hier sicher noch nicht erschöpfend detailliert) bemerkt man, das die Logik des Entlohnungssystems nicht wasserdicht ist, was die Interessen des Unternehmens betrifft, für die des Manager sind sie allerdings von Vorteil. Doch ethisch würde die Gesellschaft das Handeln eines solchen Managers (zu Klarstellung: ich will hiermit nicht behaupten dass alle Manager in ihrem Beruf so verfahren), wenn es ihr auf solche weise offengelegt würde, verurteilen.
    Ich würde deshalb also nochmals zu dem Schluss kommen: die Ethik ist da, doch wir müssen auch danach handeln – und – wir müssen auch darauf achten, dass die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen so geregelt werden, dass ein Bruch der Ethik möglichst ausgeschlossen wird. Um die ethischen Grundsätze mache ich mir wenig sorgen, aber um deren Einhaltung. Und an diesem Punkt sind wir wieder bei der Logik – ein etwas unglücklicher Begriff, der zwar stimmt, aber einigen wahrscheinlich sauer aufstösst, da einem die Menschlichkeit mit ihren vielen Unwägbarkeiten und Zufällen zu kurz kommt. Vielleicht liegt hier aber auch ein Missverständnis vor. Menschliche Logik ist bei weitem nicht perfekt, in ihr stecken schon wieder die Fehler, mit denen wir uns im weiteren Verlauf auseinanderzusetzen haben. Es wird also auf jeden Fall weiter „menscheln“. Der Mensch hat aber gegenwärtig wahrscheinlich keine bessere Methode als die Logik um komplexe Probleme wohl geordnet zu strukturieren und auf dieser Grundlage möglichst nachhaltige Lösungen zu finden. Und wenn ich es richtig verstanden habe, setzen Herrn Maliks Methoden der Syntegration genau hier an. Statt in endlosen „Laberrunden“ zu eher schlechten Kompromissen zu gelangen, wo am Ende der sich durchsetzt, der am besten redet, die meiste Durchsetzungskraft oder auch nur die grösste Macht hat, werden die Probleme im Rahmen eines ausgeklügelten Systems erörtert und beschlossen, das versucht effizient zu sein und darauf abzielt, genau diese Defizite einer Laberrunde auszuschalten. Es ist sicher eine riesige Aufgabe, die heutige Massengesellschaft, in der auch noch weitgehend Anonymität herrscht, das Verantwortungsbewusstseins dadurch stark vermindert, ethisch zu organisieren. Aber zu sehen, dass die Ethik vorhanden ist und weite Teile der Menschheit in ihren Grundsätzen übereinstimmen und es somit eigentlich „nur“ um die Umsetzung geht, müsste doch ein wenig positiv stimmen. Wenn wir das erkannt haben, sollten wir uns mit kompromisslos logischem Denken, bei dem man sich eben kein A für ein U vormachen lässt, an die Arbeit machen, Methoden, Tools, Techniken zu entwickeln, damit in unsere Gesellschaft die Ethik auch gelebt werde kann, die in den Köpfen nahezu aller bereits vorhanden ist. Einen interessanten Schritt und Beitrag in diese Richtung könnte das Verfahren Syntegration sein.

  8. Florian Linse

    Wie weit es mit der Ethik bzw. dem Verlassen des ethischen Pfades beim Homo Ökonomibus hin ist, könnte dieser Textausschnitt deutlich machen:
    „Kapital“, sagt der Quarterly Reviewer, „flieht Tumult und Streit und ist ängstlicher Natur. Das ist sehr wahr, aber doch nicht die ganze Wahrheit. Das Kapital hat einen Horror vor Abwesenheit von Profit oder sehr kleinem Profit, wie die Natur vor der Leere. Mit entsprechendem Profit wird Kapital kühn. Zehn Prozent sicher, und man kann es überall anwenden; 20 Prozent, es wird lebhaft; 50 Prozent, positiv waghalsig; für 100 Prozent stampft es alle menschlichen Gesetze unter seinen Fuß; 300 Prozent, und es existiert kein Verbrechen, das es nicht riskiert, selbst auf Gefahr des Galgens. Wenn Tumult und Streit Profit bringen, wird es sie beide encouragieren…. “
    T.J. Dunning, „Trades, Unions and Strikes“ London 1860 l.c.p. 35, 36.

    • Fredmund Malik

      Ein bisschen in die Jahre gekommen, aber es sind Meinungen, die weiterhin vertreten werden.

  9. Benjamin P.

    Sehr geehrter Herr Malik,

    folgende Fragen beschäftigt mich schon seit einiger Zeit in Bezug auf die Wechselwirkungen von Managementverhalten und gesellschaftsfördernde Ethik:

    1.) Ist ein „hippokratischer Eid“ für den Homo Oeconomicus als Elemetarer Grundsatz für die erste Managementposition / lebenslange Ausübung einer Führungsaufgabe in Unternehmungen / in der Gesellschaft durchsetzbar?
    2.) Wie müsste dieser Ihrer Ansicht nach ausgestaltet sein, damit er weltweit Akzeptanz findet?
    3.) Ist beim Verstoß des geleisteten Schwur, ein lebenslanges Berufsverbot ethisch vertretbar?

    Ich möchte zu den drei Fragen bewusst keine weiteren Randbedingungen hinzufügen, um dem Freigeist keine einschränkende Bürde auf weitere Themenverknüpfungen aufzuerlegen.

    Ich freue mich auf eine wissenserweiterende Diskussion zu den Gedanken.
    Freundliche Grüße, BDP

    • Fredmund Malik

      Ohne eine dementsprechende Ausbildung – wie eben bei Ärzten – würde ein solcher Eid selbst dann keinen Sinn haben, wenn er durchsetzbar wäre. Denn die meisten Manager haben ja – zurecht – kein Unrechtsbewusstsein, und zwar deswegen, weil sie nur das tun, was sie an den Business Schools als Best Practice gelehrt wurden.
      Damit sind auch Ihre Fragen 2 und 3 beantwortet.
      Zu ändern sind die meisten der Business Schools rund um die Welt. In China z. B. wird das bereits erkannt. Aber das wird aus vielen Gründen nicht möglich sein, also wird es sie noch lange geben. Vermutlich werden sie aber schon bald viel weniger Studenten haben, weil die jungen Leute sich von ihren Inhalten abwenden und weil diese kein Geld mehr haben, um die Kosten zu bezahlen.

      • Benjamin P.

        Sehr geehrter Herr Malik,

        zu aller erst vielen Dank für Ihre Antwort. Mich überrascht allerdings, diese ausweichende / farblose Argumentationslinie zum Gedankenexperiment. Ich denke, ich verstehe/ teile Ihren Standpunkt in
        Bezug auf den heutigen Standard im Management.

        Ich hatte mir jedoch erhofft, dass Ihre Antwort differenzierter / vielschichtiger in Bezug auf zukünftige Standards / Eckpfeiler des Managements ausfällt. Wo keine Nachfrage ist, reguliert sich meistens der Markt schon von selbst – diese Antwort ist grundsätzlich immer richtig. Beantwortet aber nicht die Frage / Fragen in Ihrem Kern.

        Denn wenn der Ausspruch stimmt, dass das Ganze mehr ist als seine einzelnen Bestandteile (nach Aristoteles), ist die Zeit/ Lernphase auf der Business School nur ein kleiner Teil von einem gesamten Managerleben. Somit auch nicht das absolut Prägende für einen Menschen mit gesellschaftsfördernden (ethischen) Eigenschaften/ Werten. Der Umkehrschluss dieser Aussage würde die erklommenen Evolutionsstufen der Menschheit in Frage stellen.

        Oder, machen wir es uns aus Eigenschutz lieber leichter diese Konzequenz zu Akzeptieren?
        (…die nächste Generation kümmert sich bestimmt darum…und wenn nicht ist das auch nicht mehr unser Problem…). Ich hatte beim Studieren Ihres einzigartigen Ansatz für Mamangement einen anderen Eindruck.

        In gespannter Erwartung
        Benjamin Pohl

        • Fredmund Malik

          Ich verstehe nicht ganz, was Sie meinen. In meinen Ethik-Eintrag, auf den Sie antworten, stehen die nötigen Hinweise auf meine Bücher. Dort sehen Sie, dass ich mit meinen Lösungen ganz andere Wege gehe als mainstream, der ja massgeblich an der Krise ursächlich ist.
          Den Märkten hat man ihre Lösungskraft durch die neoliberale Deregulierungsmanie weggenommen und daher sind diese als Lösungen nur noch sehr eingeschränkt tauglich. Sie müssen fundamental reformiert werden. Aber selbst dann genügt es nicht.
          Das Kernproblem, nämlich die Paralyse der bisherigen Organisationen, kann nur durch grundlegend neue Management-Systeme beseitigt werden, die auch die Strukturen und vieles mehr umfassen. Ganzheitliches, system-kybernetisches Management eben, wie ich es in meinen Büchern in den letzten 30 Jahren entwickelt und getestet habe und wie es die Experten meines Unternehmens täglich in vielen Organisationen mit durchschlagenden Erfolgen anwenden.

          • K.M.

            Sehr geehrter Herr Malik
            Zu den vorgängigen Meinungen, möchte ich ebenfalls etwas anmerken. Ich denke einigen ist garnicht klar was Ethik bedeutet bzw. wie gross dieses Feld eigentlich ist. Wie sieht es aus mit Begriffen wie Moral (es gibt mehrere Moraltheorien) oder Sitten und Gebräuche – . In Ihrem Buch „RICHTIG DENKEN-WIRKSAM MANAGEN“ (Welches ich übrigens sehr gut finde und fast nicht mehr aus den Händen gelegt habe) werden Wörter wie Wert oder Vision anders ausgelegt als z.B. in dem Buch Ethische Entscheidungsfindung von Bleisch/Huppenbauer. Ich halte eine gute Mischung aus logischem Denken und eine wertschätzende Haltung gegenüber unseren Mitmenschen / Natur… als einen guten Weg für eine Integere Führungskraft. Ethik alleine bringt uns nicht weiter, da es unglaublich schwierig sein wird Ethik in einem bestehenden Unternehmen richtig zu leben, aber sie im Hinterkopf zu haben, sich damit zu befassen und den Versuch starten kleine Schritte in dieser Richtung im Unternehmen zu implementieren ist sicherlich gut. Ethik ist gerade halt sehr in Mode, da viel andere Modeerscheinungen versagt haben und wenn MANN / FRAU, so wie Sie es in o.g. erwähnten Buch wieder Worte verwenden würde, die jeder versteht und somit einiges klarer wird, wäre auch schon viel getan.

            Herzlichst
            K.M.

            • Fredmund Malik

              Im Grunde kann man einen guten Teil der Ethik in ihrer praktischen Anwendung auf das Handeln von Führungskräften so formulieren: Richte niemals wissentlich Schaden an. Es ist der Kern des mehr als 2000 Jahre alten hippokratischen Eides. Der Satz hat breite Implikationen und hilft ein gutes Stück weit. Oder besser gesagt: Dieser Satz genügt vielleicht nicht in jeder Situation, aber ohne diesen Satz ist es kaum denkbar zu einer brauchbaren handlungsleitenden Ethik im Management zu kommen.
              Natürlich lohnt es sich auch, Kant und Hume zu lesen; ich selbst habe auch viel von Karl Popper und Friedrich von Hayek gelernt (von letzterem sind es weniger seine ökonomischen als sein gesellschaftstheoretischen Schriften).

              • David Ruprecht

                Sehr geehrter Herr Prof. Malik,
                Liebe Forumsteilnehmende,
                Ich würde gerne einen Gedanken einbringen:
                Prof. Malik hat einmal angemerkt, dass Kybernetik die Wissenschaft des Funktionierens und Management die Praxis des Funktionierens sei. Nach dem, was ich seinerzeit in Philosophie gelernt habe, könnte man in Analogie hierzu festhalten, dass Ethik die Wissenschaft von (etwas profan gesagt) „Gut und Böse“ sei. Und auch hier braucht es ein praxisbezogenes Gegenstück: die MORAL.
                Was heisst das nun? Nun, dass – wie Herr Linse weiter oben richtig festgestellt hat – es heute nicht in erster Linie eine Debatte über die verschiedenen ethischen Philosophien braucht, sondern eine Umsetzung des „gemeinsamen Nenners“. Anders gesagt: Wir müssen nicht diskutieren, dass überhöhte Bezüge (Bsp. Vasella) unmoralisch seien, sondern solche künftig zu unterbinden helfen. Und da bieten sich die Modelle Herrn Prof. Maliks mehr an als alles andere, was ich kenne. Diese vergleiche ich gerne mit Pflanzen, die einen fruchtbaren Boden brauchen, um zu gedeihen – und dieser Boden heisst Moral.

                • David Ruprecht

                  Noch zur Ergänzung: Wer sich für den von mir erwähnten „gemeinsamen Nenner“ der verschiedenen Ethik-Schulen interessiert, dem empfehle ich diesbezüglich insbesondere die Werke von Hans Küng, z. B. „das Christentum“, in dem er mit seinem „Weltethos“ sehr anschaulich eine Art „Baukasten der Gemeinsamkeiten“ aller Weltreligionen abbildet.