Fast keine Kenntnisse über die Schuldenlage

F. Malik am Sonntag, 16.10.2011 um 1:06 Uhr
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Als ich vor vielen Jahren in Barcelona an einem öffentlichen Anlass mit Alt-Kanzler Helmut Schmidt über die sich bereits damals abzeichende Schuldenwirtschaft diskutierte, war eine meiner Fragen, wieviele echte Fachleute es in Deutschland zur galoppierenden Verschuldung gebe und wer überhaupt einen Überblick habe.

Er machte eine lange Denkpause und sagte dann leise, er hoffe doch, dass man 5 finde, mehr als als 10 seien es aber sicher nicht. Als ehemaliger Finanzminister und einer der wenigen versierten Ökonomen unter den Politikern kannte er selbst sich aus und konnte daher auch den Kenntnisstand anderer gut beurteilen.

Nicht verwunderlich also, wieviel Unsinn täglich geredet wird.

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22 Kommentare

  1. NJP

    Sehr geehrter Herr Prof. Malik,
    die Fakten bezüglich der Staatsverschuldung in der aktiven Phase von Bundeskanzler a.D. Helmut Schmidt sprechen nicht dafür, dass er seinerzeit zu den versierten Ökonomen gehörte bzw. dafür, dass er Verschuldung als probates Mittel der Staatsfinanzierung sah. Ein Hinweis, dass er sich an der Denkweise der meisten Ökonomen und Politiker orientierte, findet sich in folgender Quelle http://www.memo.uni-bremen.de/docs/m4109.pdf (Dat. 2009): “ (…) Man erkennt, wie sehr auch Helmut Schmidt an die Zukunftsfähigkeit des inflationären Geldsystems glaubt und dessen relativ konfliktlosen Umverteilungseffekt einer automatischen Reichtumsvermehrung zugunsten der Geldvermögensbesitzer kritiklos als Lösungsweg suggeriert. Schmidt deckt mit seiner Lösung den krassen Gegensatz von müheloser Geldschöpfung des Zentralbanksystems und der wechselseitigen Geschäftsbankenkreditierung im Vergleich zu einer steuerlichen Tilgung der fiskalischen Staatsschulden zu (…)“. Interessant wäre, ob der Altkanzler heute eine radikal andere Meinung vertritt. Wenn dem so wäre, müßte er neue Erkenntnisse und gute Gründe haben.

    Mit freundlichen Grüßen

    NJP
    (ein fleissiger MOM-Leser)

    • Fredmund Malik

      Die Aktivzeit von Helmut Schmidt war in vieler Beziehung völlig verschieden von der heutigen Lage. Ich bin auch nicht sein Verteidiger, sondern sagte, dass er unter den Politikern zu besten Wirtschaftskennern zählte. In der damaligen Diskussion ging es aber nicht darum, sondern um die Frage, wieviele Kenner der Verschuldung es in den Schlüsselpositionen der Politik gibt.
      Als MOM-Leser kennen Sie meine Positionen ja sehr gut und seit langem. Ich bekomme immer mehr zum Teil rührende Feedbacks, wie sehr mein Letter den Menschen schon geholfen hat.

      • NJP

        Sehr geehrter Herr Prof. Malik,
        nach wie vor beraten sich führende Politiker und Führungskräfte mit Helmut Schmidt in wichtigen Fragen, sicherlich wegen seiner enormen Erfahrung und Urteilsfähigkeit in politschen und wirtschaftlichen Fragen.

        Auch wenn es nicht ganz an diese Stelle passen sollte, erlaube ich mir zu Ihrer zweiten Anmerkung noch den Hinweis, dass mir nicht nur der Letter sondern auch die anderen Veröffentlichungen und insbesondere eine MPO-Fortbildung sehr weitergeholfen haben. „Spaßeshalber“ habe ich das Erlernte in einem kleinen Forschungsteam zur Anwendung gebracht. Das Ergebnis können Sie, wenn Sie mal etwas Zeit oder grad ein Wasserproblem im Hause haben, unter folgender Website der Innovationsstiftung Schleswig-Holstein betrachten: http://www.energieolympiade.de/aktuelles/energie-workshop-nr-4-sauberes-trinkwasser-am-22-juni-2011/. Unser Forschungspartner Prof. Dr. Juch spricht im Ergebnis von einer „strategischen Chance der Energieeffizienzsteigerung“ für Deutschland. Wir sind gerade dabei, sie zu nutzen, auch unter Einsatz Ihrer Methoden, soweit ich sie gelernt und verstanden habe. Seien Sie Gewiss, ich lese weiter …
        Herzliche Grüße aus dem Norden
        NJP

        • Fredmund Malik

          Vielen Dank, es freut mich, dass Ihnen Wissen und Methoden unserer Managementlehre weiterhelfen. Diese ist universell anwendbar und gültig, wie auch ihr Beispiel wiederum zeigt. Die Website der „Energieolympiade“ ist hochinteressant, und ich wünsche dieser vorbildlichen Initiative viel Erfolg. Wenn es Ihnen dienlich ist, könnten wir eine Verlinkung auf unsere Website machen. Wenn Sie mir einen kurzen Web-Bericht machen, so könnte das rasch umgesetzt werden.

  2. Franz Gans

    Wo viele Schulden bzw. Verbindlichkeiten sind, dort muss es logischerweise auch ebenso viele Forderungen geben. Während die Schulden aber auf viele verteilt sind – zumindest bei den Staatsschulden – konzentrieren sich die Forderungen auf relativ wenige. Insofern ist die Schuldenwirtschaft letzten Endes ein Problem ungleicher Einkommens- und Vermögensverteilung. Und damit ist die Schuldenproblematik doch eine politische Machtfrage und kein blinder Automatismus der zwangläufig zu einem deflationären Kollaps führen muss.

    • Fredmund Malik

      Ich kann Ihnen nicht zustimmen. 1. Die formelle Bilanzgleichheit von Schulden und Forderungen ist zwar gegeben, aber dies sagt nichts aus über die Zahlungsfähigkeit der Schuldner. Ist diese nicht mehr gegeben, müssen die Forderungen abgeschrieben werden. Viele übersehen das, die an die Bilanzgleichung glauben. 2. Die Staatsschulden sind keineswegs auf viele verteilt, sondern im Gegenteil vollständig konzentriert beim Staat.
      Damit der Staat seine Schulden tilgen könnte, müsste er Ersparnisse enteignen durch drastische Steuererhöhungen und/oder Zwangsanleigen. Der Staat kann aber auch einfach seine Schulden nicht mehr bezahlen, wie es immer wieder vorgekommen ist. Die Deflation ist kein blinder Automatismus, sondern ein zwangläufiger. Das wird schon in wenigen Monaten sichtbar werden.

      • Gerd Walter

        Nehmen wir mal an, der Staat würde tatsächlich seine Schulden in einem überschaubaren Zeitraum tilgen. Wie könnten dann die Banken die entstandene Kreditlücke schliessen ? Es müssten sich dann andere Schuldner finden, die bereit sind sich gegen Zins zu verschulden. Die Banken könnten die Zinsansprüche der Geldvermögen nicht mehr bedienen. Auch hier wird wieder das systemimmanente Problem der Zinsdynamik sichtbar. Leider wird dieses Thema hier überhaupt nicht diskutiert.

      • Franz Gans

        Wenn man den Staat formal als juristische Person versteht, kann man schon sagen, dass die Schulden hier in konzentrierter Form vorliegen. Versteht man ihn aber als politisch-soziales Gebilde, dann sind es letztlich auch die Schulden aller seiner Bürger.
        Bedenkt man die immer extremer werdende Vermögens- und Einkommensunggleichheit, so wären drastische Steuererhöhungen für die Superreichen nicht nur eine Frage der Gerechtigkeit, sondern mittlerweile auch eine Systemnotwendigkeit um das zu vermeiden, was Sie als zwangsläufigen Prozess begreifen. Schuldverhältnisse sind immer auch soziale Beziehungen und insofern gestaltbar und verhandelbar.

        • Fredmund Malik

          Letztlich wird die Sache auf dem Rücken von Steuerzahlern ausgetragen, das war bisher häufig so, aber nicht immer. Das jedoch ist staatlich illegitime Gewaltanwendung, die meistens durch Notgesetze schein-legitimiert wird. In einem Rechtsstaat hingegen sind die Schulden des Staates seine Schulden, und meine Sparguthaben gehören mir.
          Wie auch immer, ändert es nichts an der Zwangsläufigkeit einer Deflation, denn es kommt zu einer wirtschaftlichen Depression und zu allgemeiner Verarmung. Dies wird ja gerade durch die staatlichen Zwangsmassnahmen herbeigeführt.

          • Franz Gans

            warum soll es den illegitim sein, wenn der staat vermögen der superreichen besteuert, um einen defaltionären kollaps des finanzsystems zu vermeiden?
            leute wie ben bernanke oder mervyn king sind sich der gefahren einer deflation sehr bewusst und versuchen diese mit inflation zu bekämpfen.
            vieleicht unterschätzen sie auch deren erfinderungsreichtum? wer weiß schon mit welch unorthodoxen maßnahmen die notenbankchefs dieser welt noch aufwarten werden. jene regeln und gesetz e auf die ihre argumentation beruhen, können über nacht außer kraft gesetzt werden und durch neue ersetzt werden. sie könnten z.b. auch veranlassen, dass allen bürgern einfach so ein bestimmter geldbetrag aufs konto gutgeschrieben wird. was solls? wenn es hilft, den worst-case zu vermeiden, muss ihnen jedes mittel recht sein.

            • Fredmund Malik

              Etwas ist illegitim, solange es keine verfassungsrechtliche Grundlage dafür gibt. Diese kann zwar geschaffen werden, wenn es Mehrheiten dafür gibt. Bis dahin aber ist es illigitim. Was die Herren in der FED wissen und was nicht, kommentiere ich nicht, weil es Spekulation ist. Was ich aber beurteilen kann, sind die bisherigen Massnahmen, und diese sind – wie sich ja auch erweist – für die Bekämpfung einer Deflation nicht geeignet. Geld auf das Konto jeden Bürgers zu schreiben, würde wenig nützen.

  3. Jörg V.

    Hallo Herr Prof. Malik,
    Demokratie =Stimmenkauf,das kostet eben.Sollte man nicht besser diesen destruktiven“Nullzins“ der wichtigsten Notenbanken unterbinden,oder diese unter Kontrolle stellen damit solche Verschuldungsorgien künftig unterbleiben?

    • Fredmund Malik

      Das wäre gut, ist bei der heutigen Demokratie aber unmöglich. Deshalb plädiere ich ja für eine tiefgreifende Reform derselben.

      • Stefan Deibler

        Sehr geehrter Herr Malik,
        können Sie ein grobes Konstrukt Ihrer, tief greifend reformierten, Demokratievorstellung skizzieren? Ich gehe davon aus, dass Sie darunter mehr verstehen, als die Anwendung Ihrer Managementmethoden in öffentlichen Organisationen. Geht Ihre Vorstellung wieder in die Schaffung der „Volksherrschaft“ (was Demokratie im Ursprung bedeutet), also weg vom turnusmäßigen Kreuzchen setzen der Wähler? Was verstehen Sie unter Demokratie?

        • Fredmund Malik

          Eines der wesentlichen Elemente ist eine neue Form der Meinungs- , Konsens- und Willensbidlung, sowie des Entscheidens und Umsetzens.
          Es hat mit Bisherigem nichts zu tun, und geht über die polaren Vorstellungen von Sozialismus und Kapitalismus weit hinaus.

  4. Jürgen Clasen

    Nicht nur die Schulden galoppieren, sondern in Folge auch die Zinslasten. Heute ist das etwas verdeckt, denn die
    Zinssätze sind ja enorm zurückgegangen. Bekanntlich haben wir, aus meiner Sicht, eine unhaltbare negative Realverzinsung. Kurz und mittelfristig mag man dem Zinseszinseffekt eine halbwegs moderate Entwicklung zumessen. Längerfristig ist damit jedes Papiergeld tot. Übrigens, an eine Rückzahlung dieser Staatsschulden denkt wohl niemand. Im Falle GR zahlen ja die Gläubiger die Zeche. Haben das die Anleihekäufer das realisiert ? Das Spiel scheint wohl erst zu enden, wenn der letzte Steuerpenny für den Zins draufgeht.

    • Fredmund Malik

      Teilweise richtig. Die Zinsen werden mit Ausnahme der allerbesten Obligationen massiv steigen. Solange noch nicht alle Schulden getilgt sind, ist Bargeld die mit Abstand beste Wertanlage. Das ist hier im Blog schon oft besprochen worden.
      Und – schon lange ist es ein Gläubigerproblem, nur wollte es niemand wahrhaben. Ich habe darüber oft geschrieben.

  5. Stefan Müssler

    Ein lesenswerter Bericht über die Schuldenfalle, in die der Staat getappt ist, findet sich hier: http://www.staatsverschuldung-schuldenfalle.de/

    Besonders empfehlenswert sind die kalkulierten Prognoseszenarien bis ins Jahr 2040.

  6. Rene S.

    Sehr geehrter Herr Prof. Malik,

    Geld(menge) wird überwiegend nicht durch die Notenpressen der Zentralbanken geschaffen, sondern durch Kreditvergabe der (Privat)Banken (Giralgeld). Auf Grund d. niedrigen Reservesätze könnte man also fast sagen, dass Geld „aus dem Nichts“ geschaffen wird, so lange es nur genügend Kreditnehmer gibt.
    Mit der vollst. Rückzahlung d. Kredits oder der Abschreibung eines faulen Kredits müsste d. Geldmenge dann wieder entsprechend sinken.

    Da der Kreditnehmer nicht nur den Kredit, sondern auch Zinsen zurückzahlt, muss auch das Geld für diese Zinsen irgendwann geschaffen worden sein. I.d.R. durch eine andere Kreditvergabe an einen anderen Kreditnehmer. Aber auch jener andere Kreditnehmer wird irgendwann Kredit UND Zinsen zurückzahlen müssen.
    In Summe aller Kreditnehmer müsste man feststellen: so lange es Zinsen gibt, KÖNNEN gar nicht alle Kredite (Schulden) zurückgezahlt werden, weil es nie genug Geld dafür geben wird. Somit ist das Finanzsystem geradezu gezwungen, unendlich und exponentiell weiter zu wachsen – was wiederum einen Kollaps unausweichlich macht.

    Resultiert die von Ihnen angekündigte Defla-phase also vor allem aus dieser Zinsproblematik heraus?

    • Wolfgang Kirchner

      Ich möchte mich dieser Meinung anschließen und sehe den eigentlichen „großen“ Fehler im System darin, dass zwar Geld (durch Kredite) geschöpft wird, die zugehörigen Zinsen aber nicht. Das bedeutet, das System funktioniert nur solange, solange neue Schulden gemacht werden um dadurch die Zinsen zu bedienen. Auf den Punkt gebracht ist es ein Pyramidenspiel, welches exponentielles Wachstum erfordern würde.

      • Fredmund Malik

        Zu einem grossen Teil ist es so.

    • Fredmund Malik

      Zinsen spielen auch eine Rolle, v. a. dann wenn man sie nicht mehr aus Produktion, sondern ebenfalls mit Krediten bezahlt. Dies ist der Zinseszins.
      Was Sie beschreiben ist richtig, aber die Konklusion ist falsch. Wenn weder Staat noch Notenbanken als scheinbare unlimitierte Kreditschöpfer auftreten, dann gibt es täglich viele kleine Bankrotte, weil Schulden und Zinsen nicht mehr bezahlt werden können. Dies gehört zur eigentlichen Natur der Marktwirtschaft. Diese Bankrotte sind in ihrer Wirkung aber limitiert. Es kann sich unter diesen Bedingungen nichts zu einem Monstrum aufschaukeln.