Wettersturz

F. Malik am Mittwoch, 05.10.2011 um 0:20 Uhr
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Die phantastischen sonnigen, warmen, klaren Herbsttage werden noch diese Woche mit einem Wettersturz in den Bergen ihren Abschluss finden. Schnee bis auf 600 m in unserer Gegend. Tief verschneite Strassen in höheren Lagen und geschlossene Alpenpässe. Auf einen Schlag, innerhalb weniger Stunden, ist alles anders. Für leidenschaftliche Bergsteiger wie mich z.B. ist das nicht aussergewöhnlich. Man kann solche Ereignisse zuverlässig vorhersehen und sich gut darauf einstellen.

So etwa ist es mit dieser Krise – ein wirtschaftlicher Wettersturz. Es lohnt sich, die früheren Kommentare z.B. zu Ostern 2011 zu lesen. Kein Wölkchen weit und breit, alles geht aufwärts, alles ist gut .. Mainstream-Ökonomen scheinen keinen Wettersturz zu kennen ..Sie haben ihn nicht vorhergesehen, sondern glaubten an ewig schönes, warmes Wetter .. Wie naiv kann man eigentlich sein?

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21 Kommentare

  1. Stefan Prosch

    Wie wahr Herr Malik,

    noch vor wenigen Monaten eitel Sonnenschein, keine Rezessionswolke weit und breit, doch dann kamen die ersten Krisenwolken im Juli und die Einschläge der Börsenblitze im August. Und jetzt? Katerstimmung weit und breit………
    Doch ich gebe Ihnen recht. All das sind die Begleiterscheinungen der von Ihnen mit „grossen Transformation“ bezeichneten Veränderungen hin zu Wissensgesellschaft.
    Ich muss gestehen, dass mir persönlich die Vorstellung einer deflatorischen Entwicklung im Kontext der täglichen Konfrontation mit Inflation anfangs sehr unrealistisch vorkam. Doch je mehr ich mich mit der debistischen Wirtschaftstheorie und den Wirtschaftszyklen beschäftig habe und beschäfte, desto vertrauter wird mir diese Entwicklung und die einhergehenden Konsequenzen.
    Im Zuge der Transformation in eine Wissensgesellschaft wird der Wert und Umfang des verpfändbaren Eigentums stetig abnehmen; in diesem banalen Satz liegt vielleicht ein Schlüssel für das Verständnis der derzeitigen Entwicklungen. „Der Kaufkonvertrag als Kind des Kreditvertrages“.
    Interessante Zeiten
    Mit besten Grüssen aus Südtirol

    • Fredmund Malik

      Danke, sehr gut erkannt und richtig gedacht. Grüsse nach Südtirol und viel Vergnügen beim Törkelen …

  2. A.I.

    Vielleicht weil viele dazu neigen, Entwicklungen linear zu extrapolieren.

    Es ist völlig klar, dass diese Metapher aus der räumlichen Wahrnehmung stammt. Gazellen, Speere und Pfeile bewegen sich meistens auf stetigen Kurven. Autos, Radfahrer und Fußgänger tun das meistens auch. Selbst wenn die Bewegungen Haken schlagen, kann man sie sehr gut stückweise linear darstellen. Wir brauchen die lineare Extrapolation, um im Alltag klarzukommen.

    Aber da gibt es die Systeme mit nicht-linearen Wechselwirkungen, wie z.B. das Wetter.

    Es gibt da schon eine gewisse Besessenheit mit dem Wetter. Wetterberichte, Medienrummel um Wetterleute aus dem Fernsehen, Wetterapps für’s Smartphone, Einsatz modernster Technik durch Wettersatelliten, leistungsfähigster Supercomputer und modernster mathematischer Algorithmen zur Wettervorhersage. Ganz unbegründet ist das nicht: als ich einmal auf einem See ruderte und ein schweres Gewitter aufzog, lernte ich, was physische Gefahr bedeutet.

    Wir scheinen noch nicht gelernt zu haben, wann wir es mit nichtlinearen Systemen zu tun haben, und welche massiven Zustandswechsel eintreten können – weil wir linear denken. Nichtlineare Systeme erfüllen uns mit Unbehagen.

    • Georges

      Tragen Sie eine Armbanduhr? Wenn ja, hier ein interessanter Beitrag zu linearem Lernen.
      http://www.ted.com/talks/sir_ken_robinson_bring_on_the_revolution.html

    • JB

      Ich mache die gleiche Beobachtungen. Und obwohl ich selber in den Maxwellschen Gleichungen daheim (gewesen) bin und neine Diplomarbeit über euklidsche n-dimensionäre Räume angefasst habe, für praktische Gegebenheiten folgende (Esels-Brücke verwende:

      Grundsätzlich wird (all)es bis auf weiteres linear weiter so bleiben, aber einmal ist es vorbei. Während der zeit soll ich wissen/ahnen, wie geht es (nicht linear) weiter, und möglichst auch, wie erkenne ich den (unausweichlichen) Umbruch.

      • Fredmund Malik

        Es geht nicht nur um „linear-nichtlinear“. Dies ist nur einer der wichtigen Aspekte komplexer Systeme. Leider bleibt insbesondere in der BWL und Bus. Administration die „Pseudo-Mathematik“ bei linearen Gleichungen stehen, weswegen zukünftige Manager von einer nicht-linearen Realität so gut wie nichts wissen.
        Es aber weiter: Systeme sind u. a. komplex, weil Wirkungen auch zurückwirken auf ihren Ursprung und auf sich selbst. A beeinflusst B, beeinflusst A, beeinflusst B usw., in z. T. riesigen Wirkketten, die durch das ganze System wabern. Daher: Was Du aussendest, kommt zu Dir zurück.
        Die drohenden Umbrüche = Krisen und ihren späteren Verlauf konnten wir mit unseren system-kybernetischen Modellen sehr früh erkennen. Darüber habe ich viel publiziert.

        • JB

          Absolut.
          Damit sich aber ein nicht-Kybernetiker auskennt, braucht er eine für ihn fassbare Annäherung an die Realität (er kann selbstverständlich auch gerne es doch versuchen tiefer zu gehen:-), aber dann muss er unbedingt wissen, dass er mit einer Annäherung arbeitet und dass diese gewisse Grenzen hat.
          Dort wird auf der populären Stufe (und woanders auch) oft gesündigt.

          IMO sollen Kybernetiker öfter nicht nur offenbaren, wie komplex die Welt ist, aber auch welche Methoden können in der Handhabung helfen.

          Sie persönlich tun Mögliches und Menschen können selber entscheiden, ob sie schmerzhaft oder abstrakt lernen möchten. Die meisten Menschen kommen IMO nicht über eine Anwendung vorgelegter Heuristiken.

          Aber diese bilden möglicherweise nicht die Zielgruppe.

    • Fredmund Malik

      Die nichtlinearen Beziehungen stellen im allgemeinen Bildungskontext weit grössere Verständnisprobleme, obwohl die meisten zwischenmenschlichen Beziehungen nichtlinear sind und auch ganz einfach so erfahren werden können.
      Sehr gut geht das u. a. mit unserem Ecopolicy-Spiel, das noch von Frederic Vester entwickelt wurde.
      Nachdem ich seinen Nachlass vor der Vergessenheit bewahren konnte, ist es bei uns Standard, Führungskräfte im vernetzten, nichtlinearen und komplexen Denken zu trainieren. Dieses Lernen macht so gut wie allen richtig Spass.

      • Martin Bodmer

        Das Ecopolicy-Spiel werde ich auf meinem Notebook installieren und damit die Zeit beim Pendeln und Reisen sinnvoll nutzen können. Ich bin sicher, dass sich dabei zusätzliche Ideen und Anregungen für die tägliche Arbeit ergeben.

        Sie haben in Deutschland das Spiel auch bei Schulen mit Erfolg angewendet. Ist so eine Aktion auch in der Schweiz denkbar? Welche Altersgruppe steht im Fokus?

        In unserer Umgebung haben vor allem die Jungs in der Schule Probleme. Die sollen nur noch funktionieren, anstatt denken zu lernen. Spielen, probieren und „sich austoben“ werden schon bald als Todsünden angesehen.
        Für die 6. Klasse sollen Vorträge schon mal auf Powerpoint daherkommen…….

        Freundliche Grüsse
        Martin Bodmer

        • Fredmund Malik

          Sie werden es wahrscheinlich sogar geniessen, bis Sie es dann beherrschen.
          In 2010/11 haben aus 4000 deutschen Schulden 175 000 junge Leute am Wettbewerb teilgenommen. Besonder die sogenannten „Null-Bock“ Schüler (zumeist Jungs) waren hellauf begeistert.
          Ich der Schweiz sind wir mit dem Präsidenten der Erziehungsdirektion in Kontakt, aber es geht etwas langsam. Viel schnellere Fortschritte machen wir in Holland und Österreich.

      • A.I.

        Das stimmt natürlich: bereits zwischenmenschliche Beziehungen sind hochgradig nichtlinear.

        Aber: Wie gehen die meisten Menschen damit um? Warum gibt es so viele Stereotypen und Verallgemeinerungen in Charakterbeschreibungen? Warum werden Stereotypen gar auf ganze Personengruppen ausgedehnt?

        Ich würde die Hypothese wagen, dass diese Stereotypisierung quasi einen Versuch zur Linearisierung darstellt.

        Warum genießen berechenbare, zuverlässige und ausgeglichene Menschen ein ungleich größeres Vertrauen als andere? Warum empfinden wir sprunghafte, unberechenbare und emotional instabile Menschen als unbehaglich, wenn nicht gar bedrohlich?

        Es ist scheinbar für unsere Gehirne schwer, aus nichtlinearen Beziehungen Regeln und Modelle zu extrahieren, nach denen wir operieren können.

        Das Ecopolicy-Spiel, das Sie erwähnen, klingt sehr interessant. Dabei bringen Sie mich auf eine Idee.

        Da man letztlich das Verhalten eines nichtlinearen Systems nicht voraussagen kann, bleibt einem im Grunde ja nur die Abwägung von Szenarios: Um beim Wetter zu bleiben, man weiß nicht genau, was kommt, aber es könnte je nach Jahreszeit sonnig sein oder regnen, etc.

        Vielen Dank für die interessante Anregung!

        • Stefan Ludwig

          EntwicklungsRICHTUNGEN sind sehr wohl vorraussagbar.

          Man kann auch von komplexen Systemen Modelle bilden die die prinzipielle Grundstruktur des Systems richtig abbilden.
          Bei dieser Systemanalyse wird klar welcher Systemteil was für Eigenschaften hat.
          Puffernde Eigenschaften, Aktive oder Passive usw. Das liefert ganz wichtige Informationen
          wie man überhaupt effektiv auf das System einwirken kann.

          Wenn man dieses Modell hat kann man an diesem Modell Szenarien durchspielen. Das bedeutet, je nachdem wo man wie stark bestimmte Systemparameter ändert, kann man beobachten was INSGESAMT herauskommt.

          Das das Modell immer nur eine Annäherung an die Realität sein kann, kann man nicht hinter das Komma progonostizieren. Was aber sehr wohl geht ist die Tendenzen die EntwicklungsRICHTUNG von Systemteilen vorherzusagen.

          Das ist was Herr Malik macht. Er konnte mit diesen Analysen sehen, das sich da eine große Krise (2008) und jetzt 2011 zusammenbraut.
          Das konnte man schon ca. 1980 mit dem Sensitivitätsmodell von Frederic Vester.
          Mich wundert es nach wie vor warum die etablierte Wissenschaft diese bahnbrechenden
          Werkzeuge nicht schon längst einsetzt.
          Stefan Ludwig

          • Andreas Mosler

            Sehr geehrter Herr Ludwig,

            ich bin doch sehr überrascht, welch grober Unfug von Ihnen in diesem Blog immer wieder verbreitet wird. Bei Ihren recht naiven Ausführungen beziehen Sie sich offensichtlich auf die Erfassung von Modellreaktionen bei Änderung von einzelnen Parametern. Ein System kann aber bei gleichzeitiger nur geringfügiger Änderung von mehreren Parametern bereits sehr heftige Reaktionen zeigen, die bei der unsinnigen ceteris paribus Variation nicht auftreten.
            Bei Modellen mit 300-400 Parametern würde die Zahl der benötigten Simulationsläufe bereits astronomische Grössenordnungen annehmen, die Sie auch mit Ihren angeblichen Wunderwaffen – Tools nicht erfassen können. Ich würde Ihnen empfehlen, dass Sie sich einmal mit den mathematischen Grundlagen der Simulation und Analyse dynamischer Systeme beschäftigen. Dann werden Sie sehr schnell erkennen, wie begrenzt diese tollen Ursache-/Wirkungsdiagramme, Sytem Dynamics etc. in Wirklichkeit sind. Sie sollten hier also nicht immer so einen Wind um uralte Hüte der Kybernetik und Systemforschung machen. Vieles davon ist brauchbar und nützlich. Aber Sie sollten nicht glauben, hiermit die Welt zu retten. MfG Andreas Mosler

        • Fredmund Malik

          Mit allem einverstanden. Über diese Phänomene kann man aufgrund der riesigen Erkenntnisfortschritt sehr viel wissen und anwenden. Dies alles habe ich in meine ganzheitlichen General Management Systeme inkorporiert. Deswegen sind diese so wirksam und deswegen führt meine Managementlehre zum zuverlässigen Funktionieren von Organisationen.
          Szenarien gehören ebenfalls zu unserem Standard, aber es geht viel weiter, nämlich zum sogenannten „Pattern Recognizing“, und dort tun sich ganze Erkenntnis-Universen auf.

  3. Jürgen Clasen

    Aus dem Handelblatt online, 05.10.:
    „So fallen die letzten Tabus. Auch wenn es noch keine offiziellen Beschlüssen gibt wird hinter den Kulissen längst geplant, dass der ESM eine eigene Banklizenz bekommt. Das gäbe ihm das Recht, bei der Europäischen Zentralbank gegen Hinterlegung von Staatsanleihen Kredite zu bekommen. Die Folge: Unkontrolliert von den nationalen Parlamenten könnte er so praktisch sein eigenes Geld drucken.“
    So, jetzt kriegen die Tinker die Schlüssel zum EZB-Weinkeller. Der Rausch kann weitergehen. Nur die Kellerwand
    ist das Limit. Wenn auch das „Allerhinnnerste“ weggesoffen ist, ist schluss mit lustig. Dann ist dieser Keller vorgestopft mit Giftmüll aller Art. Der ganze europäische Schuldenturm wird darin endgelagert. Also von wegen
    neue Methoden, Regeln. Kein bißchen. Es geht weiter wie bisher und ich bin gespannt, wie sich diese Sache
    auf unser tägliches Leben auswirken wird.

  4. Florian Linse

    Bitte nicht veröffentlichen!!!!!
    Immerhin macht sich das Wetter (noch!!!) von selbst, an den Krisen der Wirtschaft sind wir selbst nicht unwesentlich beteiligt. Andererseits scheinen wir das Wetter inzwischen besser vorauszusagen als die wirtschaftliche Entwicklung.
    Mitglieder des Kaufmanns Casino in München haben mich gebeten, einen Kontakt zu Ihnen herzustellen. Es handelt sich um eine Vereinigung Münchner Kaufleute und Unternehmer. Der Vorstand dieses Vereins, in dem sich durchaus einige Spitzen der Münchner Wirtschaft befinden, wäre sehr daran interessiert, einen Vortrag mit Ihnen zu organisieren. Falls Sie interessiert sind, könnten Sie mir eine Kontakt Mailadresse geben, damit wir direkt in Verbindung treten und ich Sie mit genaueren Daten versorgen könnte.
    Ich würde mich sehr darüber freuen, da ich es für wichtig halte, wenn die Verbreitung Ihres Wissens und Ihrer Ideen unter den Unternehmern hier in München einen Impuls erhalten würden.
    Damit in Zukunft auch die wirtschaftliche Wettervorhersage zuverlässiger wird (-;
    Webseite: http://kaufmanns-casino.de
    Meine Email: florianlinse@maremosso.de

  5. Ludwig Kyral

    Sehr geehrter Herr Prof. Malik,
    mich würde interessieren, ob ein globaler Schuldennachlass eine Lösung für die gegenwärtigen Problene sein könnte? In der Presse vom 8.10. wird ein solcher angedacht: http://diepresse.com/home/wirtschaft/economist/699281/Ende-mit-Schrecken_Haircut-fuer-die-ganze-Welt?from=suche.intern.portal

    Wie realistisch wäre eine weltwiete Umsetzung überhaupt?

    • Fredmund Malik

      Gerade Berater geben beieindruckende Selbstauskünfte über ihre bedrückende ökonomische Unkenntnis. Ganze besonders jene Berater, die vorher mitgeholfen haben, das Desaster anzurichten.
      Da ist 1. Das Inflationsgeschwätz: Aus der heutigen Lage kann unter keinen denkbaren Bedingungen eine Inflation entstehen, was ich im Blog mehrfach begründet habe. 2. Welche Gläubiger sollen auf Forderungen verzichten, denn nichts anderes ist ja ein Schuldennachlass? Wenn sie es täten, wären sie selbst bankrott.
      3. Sondersteuern im erforderlichen Umfang machen es nötig, dass die Reichen Vermögen verkaufen, um die Steuern zu bezahlen, denn diese sitzen ja nicht auf Säcken von Bargeld. Solche Verkäufe wären aber Deflation pur. Die Vermögen würden zeitgleich auf Null fallen, denn wer soll Käufer sein?
      Es ist unglaublich, welcher Schwachsinn in dem Artikel vertreten wird. Dass „Die Presse“ so was auch noch abdruckt, ist ein Armutszeugnis für die Wirtschaftsredaktion.

      • Florian Linse

        Welche Möglichkeiten blieben denn Ihre Meinung nach überhaupt, um einen Ausgleich der Weltfinanzen herzustellen?

        • Fredmund Malik

          Im herkömmlichen Sinne gibt es dafür keine Möglichkeit mehr. Die Chancen für zwar, aber doch limitiert schmerzhafte, wurden Anfang der 2000er Jahre von FED-Chef Greenspan vertan. Aber nur weil ein Staat bankrott ist, hört ja das Leben der Menschen nicht auf. Nun müssen der Staat und seine öffentlichen und privaten Organisationen neu beginnen, und das erfordert ein neues und viel produktiveres Funktionieren. Dafür sind neue Lösungen für Management, Organisation und Change nötig.