Börsenhoch, Stimmungshoch und Verschlechterung der Wirtschaftslage

F. Malik am Sonntag, 09.03.2014 um 17:31 Uhr
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Dieses Posting wird etwas länger als üblich, erleichtert aber das Verständnis der derzeitigen für viele undurchsichtigen Lage.

Seit meinen Postings vom 19.1. und 24.1. sind die führenden Aktien-Indices in den USA und auch der DAX und FTSE nicht gefallen, wie ich es vermutete, sondern sie sind weiter gestiegen und haben sogar neue Hochs erreicht. Was bedeutet das? Es bedeutet zum einen, dass ich mit meiner Meinung für jene zu früh war, die die Kunst beherrschen – oder zu beherrschen glauben – einen Börsen-Trend bis zu seinem Ende ausreizen und dann noch rechtzeitig aussteigen zu können. Wer das wirklich kann, und zwar nicht nur einmal, sondern regelmässig, hat meinen Respekt.

Im folgenden lege ich dar, warum ich selbst sehr vorsichtig bin. Hier sind einige der Fakten zur Wirtschaftslage, die mich veranlassen, mit einem Warnsignal lieber zu früh als zu spät zu sein, denn ich halte den Anstieg der Aktienkurse an einigen – längst nicht an allen – Börsen weiterhin für eine Bearmarket-Erholung und nicht für einen neuen Bullen-Markt.

  1. Zwölf europäische Börsenindices, darunter Italien, Spanien, Frankreich, Holland, Belgien, Luxemburg und Österreich, sind trotz Erholungen ab 2009 im Durchschnitt noch immer um 50% unter ihren Kursen von 2007 oder 2000. Von diesen hat sich Belgien am besten gehalten mit minus 35%. Markant gestiegen sind nur Deutschland, England und die Schweiz, sowie die Leitindices der USA. Die US-Bankenindex ist um rund 50% gesunken und hat sich trotz der Anstiege von Dow und S+P nicht erholt.
  2. Dort wo neue Höchstkurse erreicht wurden, ist die Publikumsstimmung geradezu euphorisch, was meistens als Zeichen von exzessiven Übertreibungen ernst genommen werden sollte. Insbesondere wenn auch die Ökonomen mehrheitlich optimistisch sind, ist Vorsicht angebracht. In den USA sind in den letzten Monaten die Optimisten unter den Ökonomen von 22% auf über 60% gestiegen.
  3. Die Einzelhandelsumsätze in den USA und in UK sinken. In UK sind sie bereits seit 10 Monaten beschleunigt rückläufig. Im Februar um minus 1.5%.  In den USA haben sich der sogenannte „Foot Traffic“ in Supermärkten von 2008 – 2013 fast halbiert. Ebenso sinken die Autoverkäufe. Die Neuwagen stehen bei den Händlern auf Halde. Die gehäuften Rücktritte der CEOs von Autofirmen führt man auf die schlechten Verkaufszahlen zurück.
  4. Die Neuhypotheken für Immobilien sind auf den tiefsten Stand in rund 20 Jahren gesunken. Seit 2005 sind sie um fast 60% zurückgegangen. Seit 2009  haben sie sich nicht erholt.
  5. Gold ist seit 2011 um 40% und Silber um 60% gefallen.
  6. Die europäischen Banken halten 1700 Billionen Euro Staatspapiere, rund 40% mehr als 2007. Die private Kreditaufnahme geht hingegen zurück.
  7. In den USA sind die Privatkredite seit 2008 um 6% zurückgegangen, hingegen sind die Staatsschulden um 30% gestiegen.
  8. Im Zusammenhang mit den Realinvestitionen ist ein weithin übersehener Effekt die massive Abnahme der Kreditproduktivität. Diese drückt aus, wieviel zusätzliches Sozialprodukt von einem Dollar zusätzlicher Schulden geschaffen wird. In der Nachkriegszeit bis etwa Mitte der 1950er Jahre war diese Ziffer in den USA bei rund 4,5 Dollar. Danach sank diese bis Mitte 1980er Jahre auf rund 70 Cent, ging bis 2000 auf 25 Cent zurück und beträgt jetzt nur noch 8 Cent.

Dies sind nur einige der Bespiele für eine global erodierende Gesamtwirtschaftslage mit ausgeprägten deflationären Tendenzen. Diese Tatsachen – und einige weitere, die ich ein anderes Mal darlegen werde – sind für mich Grund genug, äusserst vorsichtig zu sein.

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16 Kommentare

  1. Jürgen Clasen

    (@John Rambo), ich selbst, habe eine Strategie dargelegt, jenseits eines allgemeinen Börsenengagements. Immer wieder betont, man soll nicht mehr als 5% seiner Anlagesumme in den vorherrschenden Trend setzen. Bei Shortprodukten sprach ich von einem Umfang, der jährlichem Lottospielen mit einer Reihe entspricht, wenn überhaupt. Gleichfalls sprach ich von schnellen Erholungen, die nach Kurseinbrüchen die Gaps wieder aus-gleichen. Auch die von mir beachteten Parameter stehen praktisch ausnahmslos auf rot. Nur, aus Erfahrung weiß ich, das an der Börse solche Sätze, “es sei noch nie vorgekommen…” schnell widerlegt werden können und auf solche Formeln wenig verlass ist. Absurdität wird hier zur Regel. Kaffee steigt in kurzer Zeit von 100 auf 300, knallt auf 100 zurück und startet wie eine Rakete auf 200. Die An-und Abstiege haben keinen oder nur geringen realwirtschaftliche Gründe. Spielcasino eben. Auch hier, „es ist noch nie vorgekommen“… das mehr als 12 x hintereinander die gleiche Farbe gewinnt. Nur dann, wenn Sie setzen…ist alles anders. Pech aber auch. André Kostolany hatte dafür eine Formel 2 + 2 = 5….minus 1. Altes gilt aber weiter: Bäume wachsen nicht in den Himmel.

    • Jürgen Clasen

      Das Wesen einer Baisse hat nur derjenige richtig verstanden, der schon mal von 100% auf 30% gestutzt wurde…
      Die letzte Dekade mit 100% auf 30%, wieder auf 100%, dann auf 40%, wieder auf
      90 %, dann auf 120%, verdeckt die Gefahr:
      1929: Von 100% auf 10% und dann 40 Jahre lang tote Hose bis zum Einstand. Ja, das muss man dann auch halt noch erleben können. Die Medien preisen inzwischen wieder die Aktien als beste Kapitalanlage bezogen auf hundert Jahre…In diesem Zeitraum sind ausserdem auch einige Highflyer von der Bildfläche verschwunden. DEC zum Beispiel. Ach ja, da war doch damals was…
      Börse besteht auch aus Vergesslichkeit und das ist auch gut so, denn sonst wäre sie schon von der Bildfläche verschwunden.

      • F. Malik

        Da stimme ich Ihnen ohne Einschränkung zu. Ich selbst habe in Jahrzehnten aktiver Tradingerfahrung an den Futures-Markets alle „Stahlbäder“ durchgestanden. Da es dort üblich ist mit Margins zu traden, ist auch die Erfahrung mit Leverage-Effekten eingeschlossen.
        Zusätzlich empfehle ich noch etwas Geschichte über die 1920er-1930er Jahre zu lesen. Ausgezeichnet geeignet zum Beispiel: 1929: The Year of the Great Crash, von William Klingaman.

        • Peter Reisinger

          Vielen Dank für den Buchtipp!

          Haben Sie vielleicht noch weitere Hinweise auf vergleichende Litertur?

          Freundliche Grüße,

          P. Reisinger

          • F. Malik

            Dieses Buch empfehle ich deshalb, weil es die Stimmung und auch die Blindheit der damaligen Akteure gut darstellt.

  2. Hans A. Alber

    Sehr geehrter Prof. Malik,

    es gibt nur wenige, die die Dinge so klar sehen und diese dann auch ansprechen wie Sie.

    Woran liegt das, sind die anderen nur dumm oder dienen Ihre Einschaetzungen anderen Interessen. Will man eine negative Stimmungen partout wegschreiben und -sprechen, oder ist es wie das Pfeiffen im Walde, in der Hoffnung alles wird gut, auch wenn um uns herum die hunrigen Woelfe streunen und sich die Abgruende und Fallgruben auftun?

    In Deutschland (generell in der EU-dSSR) kommt es mir so vor, als ob die Leute nur noch so vor sich hin leben – waehrend unsere Machthaber in Bruessel und Berlin das letzte Geld verjubeln und uns ganz tief in den Dreck hineinfahren. Dazu noch „Premium“-Migration und Genderwahnsinn, aber keinen stoert es (ausser den Schweizern)! USA und UK kann man sowieso komplett vergessen, da hat man das Gefuehl, dass zu 90% nur noch Zombies rumspringen!
    Wir sind bekloppter als Dick und Doof, aber dabei politisch korrekt!

    Dieser moralische Verfall ist schlimmer als der wirtschaftliche. Sehen Sie eine Loesung? Ist die kommende Krise vielleicht sogar unsere letzte Chance als demokratische Gesellschaft zu ueberleben?

    • F. Malik

      Für immer mehr Menschen entsteht ein ähnliches Bild, wie Sie es beschreiben. Und dafür gibt es sehr realistische Gründe. Wenn die Krise richtig genützt wird und das bedeutet vor allem, neue Methoden anzuwenden, dann wird die Krise zu einer historisch einmaligen Chance. Sie kann in der Grossen Transformation21 (wie ich den Prozess der Veränderung nenne) die Geburt der Neuen Welt bringen. Daraufhin habe ich auch zusammen mit meinen Mitarbeitern neue Methoden und Tools entwickelt.

      • Walter Huber

        Die Parallele zwischen ca. 1920 bis 1930 und ca. 2008 bis 2018 ist schon sehr interessant. Wir schreiben also derzeit ca. 1926, was von der „Was kostet die Welt-Mentalität“ bei Wohlhabenden und Pensionisten (die sind neu zu 1926) sehr schön zu erkennen ist. Ich glaube auch, dass ihre Prognosen noch ein bißchen zu früh sind. Ein bißchen geht noch, ein paar Milliarden Schulden noch und auf der anderen Seite ein paar Millionnen noch auf die KOnten von Bill Gates, Buffet usw. Jedoch bald geht sich das Kapital-Moral-Spiel nicht mehr aus. Die Transformation ist im laufen und wir können nur bedingt einigen mächtigen Damen und Herren dieser Welt die Ernsthaftigkeit darstellen. Ein kleiner Lichtblick ist Papst Franziskus, der doch die Realität erkannt hat. Bei der Komplexität der weltweiten Entwicklungen kann jedoch natürlich auch er nur in kleinen Teilen und Bereichen mitwirken. Außderdem gibt es ja auf der anderen Skala Herrn Putin und andere Aktivitsten.

        • Jürgen Clasen

          Die Baisse von 00 bis 03 entsprach in etwa dem Geschehen
          von 29-32. Nur eben 70% statt 90%. Es gab nur eine kräftige Zwischenerholung. Stichwort Kapitalerhöhung DTE: „zweite Chance..“. Diese Baisse und besonders die nachfolgenden Niedergänge verliefen dann recht flott.
          Wenn wir heute eine Zeitlupenentwicklung haben, dann nur durch die Politik der Notenbanken und der Staaten.
          Beweis: die Börsen wachsen entlang des allgemeinen
          Wirtschaftswachstums. DOW und DAX haben sich aber offensichtlich aus diesem Zusammenhang verabschiedet und andere Faktoren mit sehr großem Einfluss sind nicht zu erkennen. Natürlich nährt die Hausse die Hausse.
          ATX und andere sind in den Seilen hängen geblieben, obwohl, doch gerade im ATX sehr gute Werte vertreten sind (Andritz, Lenzing usw.) Da aber im Leitindex
          DOW durch die irren Wertpapierkredite ein sehr hoher
          Ladungszustand herrscht, gehe ich persönlich eher von
          einer Schnellentladung aus. Mit Margin Calls kriegen
          die Anleger Beine gemacht und es ist die Frage wie lange
          die erwähnten Notenbanken bzw Staaten die Hände darüber halten. Explosive politische Entwicklungen in der Ukraine sind nicht vom Tisch.

          • F. Malik

            Für das grosse Szenario teile ich die Phasen etwas anders ein. Für die derzeitige Praxis, nämlich Vorsicht und auf Deflation gefasst sein, macht das aber keinen Unterschied.

          • Jürgen Clasen

            Die Ostukraine könnte von sich aus rebellieren, wenn man sieht, welchen Standard die Krim durch den Anschluss an Russland gewinnt. Worauf sollte man achten?
            Nach meiner Meinung auf die Faktorzertifikate
            auf DAX und DOW der C-Bank mit -4. Deren Verlauf zeigt eine abfallende Kurve die einen unteren Wendepunkt vielleicht schon durchlaufen haben könnte. Diese Kurve wird
            ergänzt durch die von mir und Prof Malik
            angesprochenen Sentiments und durch meine
            Erfahrungen. Mühsam geht es den Berg hoch und
            ein Abstieg in Panik geht sehr schnell.

            • F. Malik

              Vor allem die Talfahrten verstehen die meisten Leute nicht, die an den Börsen ohne ausreichende Erfahrung traden. Die Crash-Phasen beginnen ansatzlos. Gestern war alles noch in Ordnung. Heute ist Chaos – und die Margin Calls kommen herein … 😉

        • F. Malik

          Ihre Vergleiche sind sehr interessant und wichtig. Nur wenige sehen, so wie Sie, die grossen Zusammenhänge und Bewegungen. Diese sind aber wichtig, weil man nur damit verstehen kann, was vor sich geht. Für die derzeitige Beurteilung schaue ich auch auf die Zeit von 1929 bis 1930. Von Oktober 1929 bis April 1930 stiegen die Kurse nach einem Absturz von 400 auf 200 Punkte (der berüchtigte Crash) um rund 100 Punkte an. So gut wie alle, besonders die sogenannte Fachwelt, waren überzeugt, dass alles vorbei und ausgestanden sei. Doch dann begann die Abwärtsfahrt überhaupt erst, die erst bei 40 Punkten 1932 endete.Die Verlaufsmuster sind sehr ähnlich, nur sind wir heute in einem noch grösseren Zyklus als damals. Was damals Monate dauerte, kann heute Jahre dauern. Das Zeitgefühl der Menschen macht ihnen die Orientierung schwierig. Das macht die Analyse nicht leichter, aber umso wichtiger.

  3. Wolfgang Pfeifenberger

    Kupfer, ein wichtiger Indikator für die Lage der Weltwirtschaft ist innerhalb von 5 Tagen um fast zehn Prozent im Preis gefallen. In Japan scheint sich auch das zu ereignen, was kommen musste: Der Yen steigt wieder und die Börsenkurse fallen. Deflation lässt sich nicht einfach durch monetäre Maßnahmen auf Dauer zurückdrängen. Der Dax, der innerhalb eines Jahres um ca. 25 Prozent gestiegen ist, während die Wirtschaft nur um 0,4 Prozent gewachsen ist, wird in den nächsten Wochen auch noch gewaltig Federn lassen müssen.

    • F. Malik

      Das sind wichtige Beobachtungen und auch deren richtige Interpretationen. Was viele, die noch konventionell denken, als gute Gelegenheiten zum Einsteigen verstehen, sehen andere als die Anzeichen für den bevorstehenden „ökonomischen Winter“. Die bisherigen finanziellen Massnahmen, die mit besten Absichten für die Rettung des Finanzsystems eingesetzt wurden, sind in Wahrheit „Brandbeschleuniger“ für die Deflation.

  4. Jürgen Clasen

    Rück-und Ausblick. DAX hat deutlich Federn gelassen. 100 T Linie gebrochen. Bevor es an die 200 T geht, könnte es eine Zwischenerholung geben. Also weiterhin mit Zurückhaltung agieren. Dollar unter Druck. Kommt sicher nicht von ungefähr. Putin und Peking tauschen schon teilweise gegen Euro… Politik, wie schon gesagt ist System der wechselseitigen Erpressungen. Man kann sich bei der weiteren Entwicklung vorstellen, das die Kontrahenten sich in einander verbeißen und man will, schnell, ohne weiteres überlegen die Strafen auf dem Fuße folgen lassen. Russlands und Chinas westliche Vermögenswerte sind vor Ort nicht mehr frei verfügbar. Im offenen Konflikt könnte Putin Dollar gegen Gold geben, was er dann physisch im eigenen Land verwahrt. Die anderen Marktteilnehmer nehmen die „Kernschmelze“ nicht hin und bevor das Vermögen durch Wechselkurse vor die Hunde geht, beschwört man im Schaufenster die unverbrüchliche Treue und tauscht im Hinterzimmer… Die Lage ändert sich, wenn Putin die Krim letztlich nicht heimholt und eine närrische Scheinlösung akzeptiert. Die letzten gemeinsamen Auftritte mit Obama haben aber einen
    angefressenen Putin gezeigt. Wichtig: nimmt der Dollar die 1,4?