Wenn Systeme sich auflösen …

F. Malik am Sonntag, 17.07.2016 um 15:05 Uhr
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Rundum sehen wir Zerfallserscheinungen von Systemen,  die noch bis vor kurzem als Symbole für Dauerhaftigkeit und Robustheit galten, mit weitgehend übereinstimmenden Interessen, durch Verträge abgesichert, mit ausreichend ähnlichen Wertesystemen und auch politisch vergleichbaren Mechanismen der Meinungs- und Willensbildung – irgendwie für die „Ewigkeit“ geschaffen.

Nun beginnen immer mehr dieser Systeme zu zerbröckeln und zu zerbröseln, sie verlieren ihre bisherige Kohärenz und zeigen immer stärkere Lähmungserscheinungen und Systemblockaden. Und dies ausgerechnet zu einer Zeit, wo durch die Digitalisierung immer mehr Vernetzung geschieht. Ist es falsche Vernetzung? Gibt es so etwas wie falsche und richtige Vernetzung? Ja. Magnetpole können sich anziehen oder abstossen. Und so ist es mit allen Systemen.

Man kann nun jeden Fall für sich allein betrachten, analysieren und sich Lösungen dafür ausdenken: Brexit, Nizza, Türkei. Man kann die Einzelfälle aber auch als zusammengehörige Elemente der Grossen Transformation21 ansehen. Man kommt dann je zu anderen Symptom-Mustern, Schlussfolgerungen und Lösungsansätzen.

Die Einzelfallbetrachtungen führen fast ausnahmslos zu den Lösungen der Alten Welt – in die Reparaturwerkstatt. Mit der ganzheitlichen Systembetrachtung kann man aber schnell und gut erkennen, dass das Auslaufmodelle sind und ihre Zeit zu Ende geht.

Als Zwischenergebnis meiner laufenden Studie über die grössten Herausforderungen von Top-Führungskräften kommt heraus, dass sie unisono sagen: Die heutigen Herausforderungen können wir mit den herkömmlichen Mitteln nicht mehr meistern …

Was sind herkömmliche Mittel?  Und was die neuen Lösungen?

 

 

 

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10 Kommentare

  1. Stefan Ludwig

    Was genau die „herkömmlichen Mittel“ sind interessiert mich nicht mehr all zu sehr.
    Türkei: vielleicht „zentralistischer Machtausbau“
    Trump: Trivialisierung

    Die neuen Lösungen heißen Sensititvitätsmodell, Syntegration, kybernetisches Management, Organisationsstrukturen basierend auf den Prinzipien des Viable System Models: empfindliche Sensoren für die Veränderungen die in der Umwelt vor sich gehen, klare Leitlinien des Managements und bei allen Mitgliedern der Organisation Klarheit über den Zweck den die Organisation erfüllen soll.

    Ich bin sehr gespannt wie weit „das alte“ Zerfallen muss bis man flächendeckend zu der Erkenntnis kommt Komplexität mit Komplexität meistern.
    Ich habe Sorge dass der Zerfall so weit gehen könnte das wir bei rivalisierenden „WAR-Clans“ mit Anführern á la Trump landen werden.

    mit freundlichen Grüßen

    Stefan Ludwig

    • fredmund.malik

      Lieber Herr Ludwig, vielen Dank für Ihren interessanten und zutreffenden Eintrag. Ja, das sind die neuen Lösungen und Tools. Wie Recht Sie damit haben. Auch Ihre Sorge ist berechtigt: Der Zerfall kann noch ein gutes Stück weitergehen. Wenn man die neuen Tools in Aktion erlebt, dann fällt es einem so richtig auf, wie sehr die heutigen Organisationen überfordert sind. Es gibt auch positive Beispiele. Diese vermehren sich. Daher ist Zuversicht gerechtfertigt.

  2. Jürgen Clasen

    Was sind die herkömmlichen Mittel?

    Die Differenzen werden (mit neuem Geld) verkleistert, weil Lösungen, ohne neue Zerwürfnisse, nicht möglich sind. Ein so gelöstes Dilemma geht in viele neuen Dilemmata auf. Angst als Ratgeber. Bloß nicht die falschen Fragen stellen.

    Was sind die neuen Lösungen?

    Sie können nur über tabulose Fragen kommen. Ein Beispiel:
    „Studie des Rheinisch-Westfälischen Instituts für Wirtschaftsforschung (RWI): Die milliardenschweren EU-Strukturfonds haben keine positive Wirkung auf das regionale Wirtschaftswachstum, insgesamt falle die Gesamtbilanz negativ aus / Quelle: Guidants News http://news.guidants.com
    Ist die Merkelregierung befähigt das Treiben zu hinterfragen und womöglich ein Ende zu setzen? Schlussfolgern sie bitte selbst! Über diesen Weg kommen wir zu den tausendfachen Fragen. Ist es richtig, das Nichtzahler das gleiche erhalten wie Einzahler? Was sind die Folgen? Wie lange geht es gut? Was können wir tun?

    • fredmund.malik

      Lieber Herr Clasen, danke für das Link. Immer mehr Räder drehen leer durch. Zum Glück gibt es aber auch Menschen, wie Sie selbst, die immer wieder mit richtigen Fragen aufrütteln.

  3. Wolfgang Pfeifenberger

    Man könnte auch von relativen oder absoluten Qualitätsänderungen sprechen. Nehmen wir als Beispiel eine Suchmaschine wie Google. Durch Zugriff auf ein Netzwerk elektronisch verknüpfter Computer wird man von der Informationssuche im physischen Nahraum vollkommen unabhängig. Dadurch kommt man um mehrere Größenordnungen schneller zum Ziel. Daher ist es sinnlos noch in Mikrofiche-Technologie zu investieren. Das bedeutet, dass absolute Qualitätsänderungen eine völlige Unabhängigkeit von vormals limitierenden Größen schaffen, während relative nur graduelle Verbesserungen erzeugen. Jede absolute Qualitätsveränderung erhöht aber die Komplexität des Systems enorm. Nach außen wird die Komplexität durch das Interface abgefangen ist also transparent. Dennoch muss die Komplexität innen gemanaged werden. Parteien, Regierungen, Wirtschaftsorganisationen, Interessenverbände etc. arbeiten aber noch im lockeren physischen Nahraum und nicht in den Fusionsreaktoren der Syntegration. Resultat: Lange Entscheidungsprozesse unter Ausschluss von Kompetenz, faule Kompromisse, die Nachbesserungen erfordern. Wenn die Nachbesserung endlich kommt, ist sie bereits obsolet. Hase und Igel in Reinkultur.

    • fredmund.malik

      Absolute und relative Qualitätsänderungen … Genau so ist es: 100% Unabhängigkeit von vormals begrenzenden Grössen. Zeit und Raum werden bedeutungslos, die Leistungsfähigkeit von Systemen um Grössenordnungen besser – für die meisten sprengt es das Vorstellungsvermögen. Sie sehen das alles ganz richtig und formulieren es auch sehr überzeugend. Besten Dank!

      • Jürgen Clasen

        Sorry noch ein Beitrag. Die Systeme lösen sich nicht auf. Noch nicht. Sie führen sich zwar selbst ad absurdum, aber ohne jede (gesellschaftliche) Konsequenzen. Noch nie habe ich während meiner 70 Lebensjahre eine solche fatalistische Gleichgültigkeit, Resignation gegenüber fehlerhaften Entwicklungen erlebt. Jedermann scheint nur noch auf eine Fortsetzung eines schönen Lebens auf Jedermanns Kosten zu setzen. Ganz sicher wird man aber eines fernen Tages aus seinen falschen Vorstellungen, Träumen gerissen werden. Ich persönlich setze mit kleinen(!!!) Silberkäufen gegen eine endlose Fortsetzung der beschriebenen Verhältnisse.

        • F. Malik

          Unter anderem sind die Hilflosigkeit und das Fehlen jeglicher Navigation Gründe für Fatalismus und Resignation, die Sie treffend darstellen.

  4. NJPuls

    Lieber Herr Prof. Malik,

    wenn man den Satz „Die heutigen Herausforderungen können WIR mit den herkömmlichen Mitteln nicht mehr meistern …“ so versteht, dass die Top-Führungskräfte nicht mehr fähig sind, so werden sie üblicherweise ausgetauscht gegen bessere Leute. So in der Vergangenheit.

    Ganz anders sieht es aus, wenn sich das WIR aufs ganze Unternehmen bezieht. Ein weiterso ist dann nicht mehr möglich. Pleite gehen oder allesamt ganz anders handeln, wären die Alternativen.

    So ist der Satz wohl auch in der Konsequenz zu verstehen.

    Interessant ist die Feststellung, dass „heutige“ Herausforderungen nicht mehr zu meistern sind … was ist mit denen von morgen? Wie werden die angegangen?

    Was fehlt ist offenbar der Horizont, das vermeintliche Ende der Entwicklung. Das Phänomen der vielbeschworene Orientierungslosigkeit offenbart sich.

    Komplexitätsgerechte Mittel und Methoden zu erlernen und anzuwenden gelingt nicht über Nacht, wenn überhaupt bekannt ist, dass es die gibt. Es wird in dem Satz auch deutlich, dass sich dieses Wissen für rd. 99% der Akteure / Unternehmen zum Engpaß entwickelt. Gut für das 1%.

    Grüße aus dem Norden

    • F. Malik

      Mit den „heutigen“ Herausforderungen sind zum Glück schon jene gemeint, die – falls man sie zu meistern versteht – in eine neue und bessere Zukunft bringen würden.
      Auch ist die Bereitschaft darüber zu reden an den Unternehmensspitzen grösser denn je. Die Voraussetzungen bessern sich also – und dies erfreulich schnell. Die grössten Hindernisse stecken aber innerhalb der Unternehmen – und sie heissen Change Management. Etwas vereinfacht ausgedrückt ist alles falsch und hinderlich was bisheriges Change Management ist. Damit meine ich jene Methoden, die am einzelnen Menschen ansetzen und an der kleinen Gruppe, und glauben, dass die Menschen sich zuerst ändern müssen bevor sich etwas anderes ändern kann. Dieser Ansatz hat relativ lange funktionieren können, er verdreht sich nun immer schneller ins Gegenteil. Mein Ansatz ist genau umgekehrt: Lass die Leute wie sie sind, und gib ihnen neue Tools und Methoden, mit denen sie anders handeln können. Das wirkt schnell und zuverlässig weil es keine Ängste weckt.