Partizipation für leichtes Erlernen des Unlehrbaren

F. Malik am Sonntag, 13.08.2017 um 10:58 Uhr
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Wie lernen Menschen in Organisationen am besten, schnellsten und leichtesten? Wie lernen sie vor allem das, was man gar nicht lehren kann.

Einer der wichtigsten Wege dazu ist nicht das Seminar, sondern die Partizipation – real-time, real-life. Herkömmliche Präsenzseminare werden für bestimmte Zwecke weiterhin ein  Bildungsformat bleiben; auch E-Learning-Programme, obwohl viele der hohen Erwartungen bisher nur mässig erfüllt wurden.

Eine der wirksamsten Methoden kommt in den HR-Entwicklungsprogrammen bemerkenswert selten vor – die Partizipationsmethode: Das Lernen durch Dabeisein. Als bemerkenswert erscheint mir das auch deshalb, weil Partizipation gerade jetzt wieder ein grosses Thema ist, unter anderem in Zusammenhang mit Hierarchieabbau und der generell neu aufgekommenen Diskussion über Organisationskultur, die ich begrüsse, obwohl sie in wichtigen Punkten auf falschen Wegen ist.

Zum Beispiel ist es gar nicht so einfach, jemanden in Sitzungsmanagement durch Seminare auszubilden – insbesondere für anspruchsvolle Sitzungen. Meistens sind solche Seminare wenig mehr als Trockenschwimmkurse.

Im Vergleich dazu ist es aber leicht, Sitzungsmanagement durch Dabeisein bei Profis zu erlernen. Es geht schnell, wenn jemand einem guten und erfahrenen Sitzungsleiter dabei zuschauen kann, wie er oder sie es macht, wenn man real-life erlebt, was eine professionelle Sitzung ist, wie man sie vorbereitet, durchführt, wie man mit schwierigen Situationen und Personen in Sitzungen umgeht, wie man Sitzungen nachbereitet und wie man das Follow-up bis zur Umsetzung der Entscheidungen macht.

Ein anderes, schwierigeres Beispiel ist das reale Erleben, wie echte Professionals an komplexe Entscheidungen herangehen und diese treffen. Über Problemlösen und Entscheidungsfindung gibt es zwar viel Lesestoff und zahlreiche Seminare. In weniger als 10% kann man aber genau das lernen, was über das Geschriebene hinaus wirklich zählt. Denn dieses steht deshalb nicht in den Büchern, weil viele Autoren kaum eigene Erfahrungen mit komplexen Entscheidungen haben und weil das wirklich Wichtige gar nicht beschreibbar ist. Es entzieht sich der sprachlichen Beschreibbarkeit – aber deswegen noch lange nicht der persönlichen Erlebbarkeit.

Die an sich beste Gelegenheit zum Lernen durch Partizipation haben persönliche Assistenten von Führungskräfte, die deshalb auch gute Chancen haben, selbst in hohe Positionen aufzusteigen. Sie können bis in kleinste Details erleben, wie man Dinge macht, die man sonst nirgends lernen kann. Sie sind auch dort dabei, wo selbst die Mitarbeiter von Chefs nicht dabei sind. Das allein heisst aber noch nicht, dass jeder gute Assistent auch ein guter Chef sein wird. Nicht jeder will und kann in die Frontstellung gehen.

Das Lernen durch Partizipation wird dann besonders wirksam, wenn man die erlebten Situationen danach mit den Hauptakteuren reflektieren kann. Und sie wird noch besser, wenn einem jemand schon im Voraus sagt, worauf man achten soll.

 

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13 Kommentare

  1. Wolfgang Pfeifenberger

    Es scheint hier ein Nähe-Distanz-Zusammenhang, aber auch ein ein Richtungs-Zusammenhang sich zu offenbaren: „Real-time, real-life“ Stefan Zweig hat diesen Weg sich eine Profession zu erschließen einmal so beschrieben:“Immer erkennt man ja jede Erscheinung, jeden Menschen nur in ihrer Feuerform, nur in der Leidenschaft. Denn aller Geist steigt aus dem Blut, alles Denken aus Leidenschaft, alle Leidenschaft aus Begeisterung.“ Wir sind in „kalten“ Top-Down-Vorstellungen inzwischen geradezu zwanghaft gefangen und übersehen dabei die „Bottom-up“-Struktur effektiven Lernens durch neugieriges Betasten, Anfassen, Bewegen, selbst Verändern, direktem Erleben einer sich vollziehenden Dynamik, Interaktion mit Menschen, eigenem Scheitern, erneutem Versuchen, Gelingen etc., aber auch durch kinästhetisches Nachvollziehen nach einem Vorbild, Vorhandler. Diese Dinge erfordern ja gar keine tiefgehende Abstraktion und Rekonstruktion aus der Sprache heraus, sind aber emotional viel stärker aufgeladen, als alles Didaktische, beschäftigen auch andere Hirnstrukturen. Man kann das Wesen, den Kern einer Sache nur so begreifen und verinnerlichen. Alles Andere ist leblos, farblos, im Letzten ewig fremd.

    • fredmund.malik

      Lieber Herr Pfeifenberger, wie gut Sie das „Bottom-up-Lernen“ darstellen, das ich in meinem Posting aufgegriffen habe. Lernen durch Erleben, Zuschauen, Nachmachen – die natürlichste und für vieles die wirksamste Methode – wird schlichtweg übersehen.

  2. TG

    Einmal zuschauen
    Dann einmal selber machen unter Anleitung
    Dann selbstständig ausführen und kontinuierlich Feedback einholen

    So einfach kann es sein, aber es gibt wenig Dinge die so verkorkst sind wie „professionelle“ Mitarbeiter-Entwicklung:
    (1) Talente die ja quasi schon alles können (Top MBA) und nun performen müssen – häufig im Sinne von gut ausschauen und nichts falsch machen, denn in 24 Monaten ist man schon befördert

    (2) Ablenkung mit schier unerschöpflichen (und widersprüchlichen) Verhaltensdimensionen, insbesondere Schwächen der Mitarbeiter

    (3) Vernachlässigung des langweiligen Handwerkzeugs (Sitzung, E-Mail-Korrespondenz, …) und Fokus auf sexy Themen die möglichst eines der folgenden Wörter beinhalten: Digital, Data, Strategy

    Partizipation kann nicht hoch genug bewertet werden, geht sie doch eng einher mit der effektivsten Führungsmethode, nämlich dem Vorleben und Vorzeigen. Resultierende sind Firmenkultur, Vertrauen und Leistung.

    Wenn man die Mitarbeiter dann noch eigenverantwortlich agieren lässt und ihnen in einem überschaubaren Rahmen die Möglichkeit gibt Fehler zu machen, dann hat man das beste Entwicklungsprogramm zusammen.

  3. Stefan Ludwig

    Hallo Herr Professor Malik,

    aus ihrer Feder nehme ich die Position das „manche Dinge nicht beschreibbar – aber erlebbar sind“ ernst. Das ist eine für mich sehr interessante Stelle, weil ich (bisher) der gegenteiligen Meinung bin. Möglicherweise gibt es Argumente die mich überzeugen. Diese Argumente möchte ich gerne Wissen. Ich will aber auch etwas vorbringen was mich bisher vom Gegenteil überzeugt. Das ist die ENSTEHUNGSGESCHICHTE von NLP (Neuro-Linguistisches-Programmieren). NICHT die Bandbreite wie NLP heutzutage praktiziert wird. NLP ist eine Sammlung von therapeutischen Interventionsmustern die durch lange Beobachtung und Reflexion beschreibbar gemacht wurden. Meiner Ansicht nach in einer Tiefe die so manchem altgedienten Psychoanalytiker oder Veraltenstherapeuten die Ohren schlackern lassen würden wenn es dich denn damit auseinandersetzen würde. Meine Schlussfolgerung daraus ist wenn sich etwas so hochkomplexes wie psychotherapeutisch wirksam sein durch beobachten und reflektieren beschreibbar machen lässt dann geht das mit fast allem. Nun – ich stelle eine angeblich so global geltende Hypothese gerade deswegen selbst in Frage.

    • A.I.

      Dass alles per se beschreibbar ist, halte ich für eine grundfalsche Annahme.

      Dieses Problem kennt man bereits bei Sachverhalten, die traditionell durch Sprache beschrieben werden, wie z.B. Gesetzestexte.

      Wir alle kennen das Phänomen, wo ein Gesetz durch Neuinterpretation des Wortlauts in sein Gegenteil pervertiert wird.

      Anwälte streiten sich vor Gericht über Verträge und gesetzliche Rahmenbedingungen.

      Ganze Religionskriege wurden angezettelt im Streite darüber, wie denn die den jeweiligen Gruppen heilige Schrift auszulegen sei.

      Das gäbe es alles nicht, wenn alles eindeutig beschreibbar wäre.

      Mithin ist ein Wort nur ein Etikett für einen Begriff oder ein Konzept. Wären Wörter selbsterklärend, könnte man jede beliebige fremde Sprache lesen und verstehen.

      Eindeutig beschreibbar durch Wörter sind Sachverhalte nur dann, wenn eine Konvention darüber besteht, was darunter zu verstehen ist.

      Im übrigen gibt es bei hochkomplexen visuell-motorischen Vorgängen auch Flow-Erlebnisse, wo eine hocheffiziente Informationsverarbeitung im Hirn komplett ohne Worte stattfindet, wo man direkt visuelle Reize verarbeitet und darauf unmittelbar und bewusst reagiert, ohne in Worten zu denken.

      • Gunter Fritz

        Da die Konvention wiederum selbst ein Sachverhalt ist, lässt dies den Rückschluss zu, dass Sachverhalte nicht eindeutig beschreibbar sind. Wir gehen davon aus, dass der jeweils andere das selbe unter der Konvention versteht. Das kann nicht verifiziert werden. Feststellen können wir nur das Scheitertn.

        • A.I.

          Ich muss Ihrer Beobachtung beipflichten; so genau habe ich gar nicht nachgedacht.

          Aus den MINT-Fächern kommend, hatte ich als fortgeschrittener Student sehr darunter gelitten, dass in der Originalliteratur Konventionen gang und gebe waren, die man aber nirgendwo finden konnte.

          Ist n die Teilchenzahl, dass n-te Elektron oder der n-te Quantenzustand des k-ten Elektron? Das ist nur ein triviales Beispiel, es gibt wesentlich komplexere Konventionen, und mit ein bisschen Nachdenken und Interpretation des Kontextes kann man sich überlegen, wofür n stehen muss, aber auch das geht nur mit implizitem Vorwissen.

          Insofern waren esoterische Paper teilweise nicht zu verstehen, wenn man nicht in einem Seminar mit einem auf dem Forschungsgebiet kundigen Professor saß, der einem solche Fragen beantworten konnte.

          So etwas könnte man als ein Scheitern der Konvention bezeichnen.

          Im beruflichen Umfeld erlebe ich das jeden Tag, wenn es darum geht zu beschreiben, was eine Software machen oder nicht machen soll.

          Wir sind deswegen dazu übergegangen, in schneller Folge evolutionär veränderte Prototypen zu zeigen, statt mühselig Beschreibungen zu verfassen, die hinterher wieder mehrdeutig sind.

    • F. Malik

      Im Beschreiben von komplexen Sachverhalten wurden in vielen Gebieten – ich würde sagen in allen – grosse Fortschritte gemacht. Juristen und Mediziner sind nur 2 von vielen Beispielen, aber auch die Sozial- und Neurowissenschaften gehören dazu und die Philosophie hat schon von alters her dazugehört. Und in der Wissensgesellschaft, die in den 1960er Jahren z. B. von Peter Drucker bereits vorausgesehen und auch beschrieben wurde, brauchen wir die Sprache mehr als je zuvor.
      Begonnen hat diese Entwicklung spätestens mit der Reformation und Luthers Bibelübersetzung.

      Hier meine ich aber etwas anderes: Nämlich, dass wir Fähigkeiten und Fertigkeiten unnötig verbalisieren, die wir viel schneller und besser durch hinschauen, dabeisein, erleben und nachmachen erlernen können.

    • Stefan Ludwig

      Ich bin so frei ein zweites Posting direkt anzuhängen:

      Nun – ich stelle eine angeblich so global geltende Hypothese gerade deswegen selbst in Frage. Deshalb bin ich auf der Suche nach weiterer Verifizierung bzw. Falsifizierung. Ich bin überzeugt davon das „dabeisein“ eine hocheffektive Methode zum Lernen ist. Mich interessieren aber auch die Argumente warum beschreiben in bestimmten Bereichen nicht funktionieren soll. Ich bin sehr gespannt auf die weiteren Beiträge.
      mit freundlichen Grüßen

      Stefan Ludwig

      • F. Malik

        Ihre Frage ist ausserordentlich wichtig. Es funktioniert deswegen nicht, weil nicht alles beschreibbar ist. Die Sprache ist nicht reichhaltig genug. Kybernetisch formuliert: Sie hat nicht genügend Varietät (= das Mass für Komplexität).
        Beispiele: Kann man Gerüche beschreiben? Süsskind hat es versucht und ist genial daran gescheitert. Kann man Klang beschreiben? Nein. Man kann immer nur schreiben: „… klingt wie …“, was voraussetzt, dass das „wie“ im Gedächtnis schon vorhanden ist. „Riecht wie Veilchen … ; klingt wie eine Trompete …“

  4. A.I.

    Das ist ein sehr zutreffender Artikel.

    Vor einigen Monaten hielt ich vor Studenten einen einführenden Vortrag über Methoden und Strategien der Datenanalyse.

    Dies ist zugegebenermaßen ein Hip-Thema, bei dem so getan wird, als sei das was völlig Neues, als ob nicht schon vor gut 400 Jahren Newton die Aufzeichnungen Tycho Brahes analysiert hätte.

    Insbesondere laufen da viele unseriöse Anbieter herum, bei deren Versprechungen sich mir meine Zehnägel kräuseln, wenn ich davon höre.

    Am Ende bedankte sich eine Studentin herzlich für meinen Vortrag und wollte von mir wissen, ob es nicht ein Buch gäbe, in dem man die Dinge nachlesen könne, die ich ausgeführt habe.

    Ja, antwortete ich, ich kenne keins. Richtiges Denken, das man für eine fundierte Datenanalyse unabdingbar braucht, kann man aus Büchern nicht lernen. Bis heute bin ich eine Antwort schuldig geblieben; ich weiß es einfach nicht.

    Ich werde Ihren Artikel empfehlen, denn dieser drückt genau den Grund aus, warum ich keine Buchempfehlungen geben kann.

    • F. Malik

      Lieber Herr Irmak, danke, Ihre Empfehlung und Weitergabe freut mich.
      Nur raus in die Social Media. Da wird ja so viel Unsinn über Management verzapft …